Kajo Wasserhövel:"Es gibt immer Überraschungen - und die sind entscheidend"

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"Als Schröder im TV-Duell 2005 eine Liebeserklärung für seine damalige Frau abgab, sind wir alle vom Stuhl gefallen", sagt Kajo Wasserhövel. (Foto: Getty Images)

Kajo Wasserhövel hat viele TV-Duelle der SPD begleitet. Ein Gespräch über Ängste und Hoffnungen, schwere Fehler und Liebeserklärungen - und das Bibbern hinter den Kulissen.

Interview von Stefan Braun, Berlin

In den vergangenen zwanzig Jahren gab es in der SPD kaum einen erfahreneren Wahlkämpfer als Kajo Wasserhövel. Der heute 55-Jährige war Büroleiter von Franz Müntefering und später Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokraten. Mit Müntefering machte er die SPD wieder kampagnenfähig; bei insgesamt vier Bundestagswahlen leitete, organisierte, konzipierte und kämpfte er an vorderster Stelle. Mittlerweile führt er sein eigenes Beratungsunternehmen - und ist verdammt froh, dass er nie selbst in ein TV-Duell gehen musste.

SZ: Heute ist Fernsehduell. Haben Sie Phantomschmerzen? Weil Sie das Bauchkribbeln kennen, wenn es bald los geht?

Kajo Wasserhövel: Ich bin gespannt und freue mich auch darauf. Im Studio kann Frau Merkel dem Wahlkampf und auch Martin Schulz nicht weiter so ausweichen, wie sie es bislang gemacht hat. Das würde überheblich wirken, und das wird sie vermeiden müssen.

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Interview von Stefan Braun

Werden Sie mit Chips und Freunden zuhause sitzen? Oder machen Sie bewusst was ganz anderes, weil Sie keine Verantwortung mehr tragen?

Zuhause. Und ich werde wahrscheinlich nicht die ganze Zeit ruhig sitzen können.

Juckt es Sie in diesen Tagen, noch irgendwie allerletzte Tipps loszuwerden?

Da ich die Erfahrung habe und keinen Gedächtnisschwund, weiß ich, wie mich das früher genervt hat, wenn Ehemalige von der Tribüne Tipps über die Medien übermittelten. Also nein.

Sie haben mehrere Duelle aus nächster Nähe erlebt: Was ist das allerschwerste?

Sich nicht von dem ganzen Trubel im Vorfeld ablenken zu lassen. Die Konzentration auf das Wesentliche zu behalten: zu erklären, warum man kandidiert, wofür man antritt, was man besser machen will als der politische Konkurrent. Ein TV-Duell ist eine einmalige Gelegenheit, Millionen Menschen direkt zu erreichen und über den Abend Punkt für Punkt zu holen. Der Druck ist hoch, es gibt tausend Ratschläge und Ratgeber - und es ist eine eigene mentale Leistung, sich nicht gedanklich im Briefing-Material und den Tipps zu verlaufen.

Wie viel Training muss sein? Wie viel ist Talent, was unlernbar?

Trainings sind sinnvoll. Gute Trainerinnen und Trainer unterstützen aber nur dabei, die eigenen Talente freizulegen. Es geht nicht um Tricks. Es gibt natürlich kleine Dinge, gerade im Bereich der Körpersprache, die eine große Wirkung haben können. Da ist es schon wichtig, in den Spiegel zu schauen. Als der alte Bush im TV-Duell gegen Bill Clinton zwischendurch auf seine Armbanduhr schaute, signalisierte er "ich habe keine Zeit für sowas". Es war dann auch noch ein Town-Hall-Format mit Wählern und hat ihm enorm geschadet. Wahrscheinlich war es aber nur eine nervöse Geste.

Was ist am entscheidenden Tag am wichtigsten?

Locker bleiben.

Mussten Sie Ihren Kandidaten eher beruhigend die Hand auflegen? Oder mussten Sie sie wachzurütteln, weil noch der Strom fehlte?

Überraschung: Spitzenkandidaten sind Menschen und Menschen verarbeiten Stress sehr unterschiedlich. Manche werden hyperaktiv, manche ziehen sich zurück. Es ist wichtig zu verstehen, wie jemand damit umgeht und ob dies Mechanismen sind, die Kraft aufbauen oder blockieren. Nur bei Letztem ist es sinnvoll zu intervenieren.

Das heißt?

Oft muss man die Faktenwut der Kandidaten bei der Vorbereitung stoppen. Es wird dann eine Zahl nach der anderen angefordert, dann noch eine Tabelle, noch ein Bericht und noch ein Papier. Fürchterlich. Damit steigt das Risiko, dass die eigentlichen Botschaften unter Zahlenlawinen begraben werden. Und da muss man deutlich sagen: Das ist keine Examensprüfung hier! Man muss in der politischen Argumentation und menschlich überzeugen.

Wie fühlt sich das für einen Kandidaten an? Plötzlich der totale Fokus. Vielleicht die letzte Chance.

Da ich immer nur beraten habe, kann ich das letztlich natürlich nicht beantworten. Aber aus der Begleitung erfährt man schon, wie enorm der Druck ist. Ich war immer froh, dass ich das nicht aushalten musste.

Haben Sie die Situation im Studio auch mal vorab durchgespielt?

Es gibt natürlich Trainingsrunden, bei denen die wesentlichen Themen durchgespielt werden. Es gibt auch spezialisierte Kameratrainings. Aber bislang habe ich es nicht erlebt, dass eine komplette Kulisse aufgebaut wurde und dann noch jemand den Konkurrenten spielte.

Wie häufig passierten im Duell Überraschungen, auf die man nicht vorbereitet war?

Das ist das Schöne. Eigentlich immer. Es kommen immer Themen auf, Situationen, die nicht vorgedacht waren und das sind eigentlich die wesentlichen Phasen, in denen man beim Zusehen schon spürt, jetzt ist Schluss mit Routine, jetzt wird es direkt und spontan. Das sind oft Schlüsselmomente, bei denen sich viele Wählerinnen und Wähler entscheiden. Denn es geht dann nicht um die runde Antwort, der Mensch steht da und wird erkannt.

Ist es ein Problem, dass alle anderen Wahlkampfveranstaltungen ganz anders sind - nämlich ohne direkten Gegner?

Ich fände es persönlich besser, wenn es mehr dieser direkten Diskussionsrunden gäbe. Aber Frau Merkel legt seit 2005 großen Wert darauf, dass sie sich dem maximal einmal unterzieht.

Haben TV-Duelle etwas von Leben oder Sterben?

Entweder man liegt in Führung und hat eine Riesenangst davor, einen schweren Fehler zu machen oder man muss aufholen und darf diese einmalige Gelegenheit nicht verspielen. Es sind auf jeden Fall die 90 Minuten in einem monatelangen Wahlkampf, die brutal ausgeleuchtet sind und deswegen fühlt es sich so an.

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Was hat Ihnen in der Zeit am meisten Spaß gemacht?

Gerhard Schröder dabei zuzusehen, wie er sich auf den Sprung vorbereitet.

Wie ist es, wenn los geht - und man als Berater nichts mehr tun kann?

Ich habe es als sehr anstrengend empfunden. Man sitzt in einem Raum, manchmal mit dem Team, und die ersten 20-25 Minuten sind die Hölle. Alle sind angespannt und es dauert eine Weile, bis man sagen kann "jetzt läuft's".

Wird die Schlacht im Studio geschlagen? Oder eher hinterher, bei den Spindoctors?

Manchmal müssen sie nicht viel tun, weil es offensichtlich für sie gut gegangen ist. Und manchmal reden sie sich den Mund fusselig, aber sie können es nicht umdeuten. Es gibt aber auch Situationen, bei denen im Studio die Stimmung völlig konträr zu dem ist, was sie gesehen haben. 2005 war im Sendesaal die gesamte Medientruppe der Meinung, dass Merkel das gewonnen hat und dann kamen die Umfragen. Alle Institute zeigten es komplett anders.

Wie haben Sie die Blitzumfragen erlebt?

Man wartet drauf. Ich war immer skeptisch, wenn wir nur Zahlen eines Institutes hatten, aber wenn man mehrere im Feld hat und alle den gleichen Trend zeigen, gibt das Sicherheit.

Würden Sie sich gerne mal selber in ein solches Duell stellen? Rhetorisch zeigen, was man drauf hat?

2009 habe ich in einem Berliner Wahlkreis gegen Gregor Gysi kandidiert. Rhetorisch fand ich mich in Ordnung, aber ich habe trotzdem nur 18 Prozent der Erststimmen geholt. Also nein.

Wie geht es den Kandidaten nach der Schlacht?

Am Abend nach dem TV-Duell 2005 haben wir mit Gerhard Schröder ein wenig gefeiert. Er war sehr gut drauf, weil er wusste, er hat geliefert. Er sagte, dass er mit seinem engagierten Wahlkampf der SPD etwas zurückgeben will. Das fand ich toll.

Gab es einen Fall, in dem die Stimmung am Abend und die am Morgen danach komplett konträr waren?

Ich erinnere mich an das TV-Duell bei der Landtagswahl in NRW im selben Jahr. Steinbrück gegen Rüttgers. Wir dachten, dass Peer Steinbrück es für sich entschieden hat, aber mussten dann feststellen, dass die Wähler es anders wahrgenommen haben.

Gibt es bei all dem einen Moment, den Sie nie vergessen werden?

Ja, als Schröder im TV-Duell 2005 eine Liebeserklärung für seine damalige Frau abgab, sind wir alle vom Stuhl gefallen. Keiner wusste das vorher, wir hatten keine Ahnung, was das jetzt auslöst. Die Konservativen regten sich danach tagelang darüber auf - da war ich dann beruhigt.

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