Religion:Wahl entzweit Jüdische Gemeinde Berlins

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Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist eine der größten in Deutschland. Sie organisiert weite Bereiche des Zusammenlebens der Juden in der Hauptstadt. (Foto: Sebastian Gollnow/DPA)

Eine geänderte Wahlordnung, Boykottaufrufe und schwere Vorwürfe: Heftiger Streit überschattet die Kür des Gemeindeparlaments. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht der Vorsitzende Gideon Joffe.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Für einen kurzen Moment sah es an diesem Sonntag so aus, als handele es sich um eine ganz normale Wahl. Um zehn Uhr am Morgen begannen die Helfer in der Sporthalle der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die Stimmen der Mitglieder auszuzählen. Doch am späten Nachmittag bestätigte sich, was ein Mitglied bereits befürchtet hatte: "Das Ergebnis ist schon mehr oder weniger klar." 17 von 17 Plätzen der Vertreterversammlung der Gemeinde werden Kandidaten rund um den amtierenden Vorsitzenden Gideon Joffe besetzen.

Die Wahl an diesem Sonntag war damit nur ein weiterer Höhepunkt in einem seit Monaten währenden Streit rund um Joffe und sein Bündnis "Koach!" ("Stärke"). Die Opposition um "Le'kulam!" ("Für alle") hatte zwar eigene Kandidaten aufgestellt, dennoch vorher aufgefordert, die Abstimmung zu boykottieren. Das Bündnis "Tikkun" ("Reparatur") wiederum zog seine Kandidaten gesammelt zurück. Denn schon Ende Juli war der Berliner Gemeinde vom Zentralrat der Juden untersagt worden, die Wahl überhaupt abzuhalten.

Erst im Mai änderte der Vorstand die Wahlordnung

Die Jüdische Gemeinde Berlin ist mit knapp 10 000 Mitgliedern und über 300 Mitarbeitern eine der größten in Deutschland und organisiert weite Bereiche des Zusammenlebens der Juden in der Hauptstadt. Dazu zählen Synagogen, Schulen und Pflegeeinrichtungen. Der Berliner Senat unterstützt diese Arbeit auf der Grundlage des Staatsvertrags von 1994 finanziell. Für dieses Jahr sind Zuschüsse in Höhe von knapp 14 Millionen Euro vorgesehen.

Die Wahlen zur Gemeindeführung war in den vergangenen Jahren immer wieder von Auseinandersetzungen begleitet, diesmal entzündete sich der Streit um eine neue Wahlordnung, die teils gravierende Änderungen im Abstimmungsprozess vorsieht. Der Vorstand unter Leitung Joffes hatte sie Ende Mai erlassen. Demnach dürfen Mitglieder, die älter als 70 Jahre sind, nicht mehr für die nun 17-köpfige Repräsentantenversammlung kandidieren; ausgeschlossen wurden auch Mitglieder anderer jüdischer Organisationen wie dem Sportverein TuS Makkabi, dem Zentralrat der Juden oder der Jewish Claims Conference.

"Herr Joffe hat systematisch alle möglichen Gegenkandidaten lahmgelegt, weil die Wahlordnung besagt, dass sie aus verschiedensten Gründen nicht antreten dürfen", erklärte Lala Süsskind in der Jüdischen Allgemeinen. Die 77-Jährige war zwischen 2008 und 2012 selbst Vorsitzende der Gemeinde und hatte eine erneute Kandidatur erwogen. "Machterhalt" sei der maßgebliche Grund für die neue Wahlordnung, meint Süsskind. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie deshalb beim Zentralrat gegen die neuen Regelungen geklagt.

Auch langjährige Weggefährten stellen sich gegen den Vorsitzenden

Der Vorsitzende Joffe wiederum sieht sich und die Führung als Opfer von "Einschüchterung, Bedrängung und Drangsalierung", wie es bei der jüdischen Gemeinde heißt. Die neue Wahlordnung sei erlassen worden, um die Gemeinde zu beleben. "Eine Idee war, den Zugang zur Wahl vielleicht doch ein bisschen unterschiedlicher zu gestalten, dergestalt, dass man es etwas begehrter macht", sagte Joffe kürzlich beim Sender RBB . Die Zahl der Mitglieder in den verschiedenen jüdischen Gemeinden Deutschlands hatte zuletzt leicht zugenommen, auch durch die Geflüchteten aus der Ukraine. In Berlin wird jedoch geschätzt, dass die Gemeinde in den vergangenen Jahren einige Tausend Mitglieder verloren hat.

In einer sechsseitigen Erklärung zur neuen Wahlordnung geht Joffe auch auf einzelne Kritikpunkte ein. So sei die Altersbegrenzung "zur Sicherung einer effektiven und leistungsfähigen politischen Leitung" eingeführt worden. Dass nun auch Mitglieder anderer Organisationen ausgeschlossen worden sind, begründet Joffe mit Interessenkonflikten: "Wir wollen im Gemeindeparlament keine Diener zweier Herren."

Der Beschluss des Zentralrats, die Wahl dürfe erst gar nicht stattfinden, sieht Joffe als unzulässige Einmischung in Angelegenheiten der Jüdischen Gemeinden insgesamt an, die föderal organisiert seien. Die Entscheidung des unabhängigen Gerichts beim Zentralrat "geht eindeutig zu weit, ist offensichtlich rein politisch motiviert und verstößt sowohl gegen die eigene Satzung des Zentralrats als auch gegen die Satzung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin".

Der Gemeindeführung drohen nun Bußgelder

Kritik kommt jedoch nicht nur vom Zentralrat oder Joffes Vorgängerin. Auch langjährige Weggefährten Joffes stellen sich inzwischen gegen den Vorsitzenden, der seit 2012 amtiert. Emanuel Adiniaev hat mehrere Jahre mit Joffe zusammengearbeitet, nun ging er als Spitzenkandidat des Konkurrenzbündnisses "Le'kulam!" in die Wahl. "Eine offene, transparente, harmonische Gemeinde ist für mich unabdingbar", schreibt er auf der Facebook-Seite von "Le'kulam!". "Ich war vier Jahre im Team von Herrn Joffe und fast vier Jahre Unterstützer, das stimmt, aber unsere Ansichten sind mittlerweile weit voneinander entfernt. Ich würde und kann diese Wahlordnung nicht unterstützen."

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Der Gemeindeführung drohen nun Bußgelder und möglicherweise auch der zeitweise Ausschluss aus den Gremien des Zentralrats. Adiniaev, Süsskind und andere Kritiker des Vorstands haben angekündigt, ihren Widerstand gegen die Wahl auch nach Sonntag nicht aufzugeben. Mitglieder des Bündnisses "Tikkun" haben deshalb zuletzt auch beim Regierenden Bürgermeister und beim zuständigen Kultursenator Joe Chialo (beide CDU) um Unterstützung geworben. Beim Senat heißt es jedoch, man wolle sich in die inneren Angelegenheiten der Gemeinde nicht einmischen.

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