Juden in Deutschland:Wer folgt auf Knobloch?

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Im Herbst tritt Charlotte Knobloch als Präsidentin des Zentralrats der Juden ab. sueddeutsche.de beantwortet wichtige Fragen zu ihrem Rückzug und den möglichen Nachfolgern.

Am Mittwoch vergangener Woche meldete Die Zeit, dass die Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, am Wochenende ihren Rückzug ankündigen werde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Knobloch das mitnichten vor.

Noch bis November 2010 will Charlotte Knobloch Präsidentin des Zentralrats der Juden bleiben. (Foto: Foto: dpa)

Noch in einem Beitrag für die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung begründete sie, warum sie nicht abtreten wolle: "Gerade als Zeugin der Gräuel der Naziherrschaft macht mich meine Aufgabe als Präsidentin des Zentralrats sehr glücklich." Auch die nächsten Jahre wolle sie ihre Energie für diese Ziele verwenden.

Doch allein das Erscheinen der Rückzugsmeldung in der Zeit führte dazu, dass sie am Ende wahr wurde. Nach einer Präsidiumssitzung am Sonntag erklärte Knobloch, dass sie für eine weitere Amtszeit nicht mehr zur Verfügung stehe.

Die Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf die angestaubte Institution des Zentralrats der Juden und Intrigen im Präsidium. Fragen und Antworten rund um den Rückzug von Charlotte Knobloch.

Warum tritt Charlotte Knobloch nicht mehr an?

Seit Knoblochs Amtsantritt 2006 gab es Kritik an ihrer Amtsführung, auch und vor allem aus dem Präsidium des Zentralrats. Dass die Stellvertreter Dieter Graumann und Salomon Korn sowie Generalsekretär Stephan Kramer ihrer Präsidentin nach der Falschmeldung in der Zeit nicht zur Seite sprangen, spricht Bände über die Stimmung im Präsidium. "Die Männer nahmen die Präsidentin nie richtig ernst", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Welche Vorwürfe werden der Zentralratspräsidentin gemacht?

Kritiker finden, die 77-Jährige sei zu sehr im Gestern verhaftet und kümmere sich mehr um das Gedenken an den Holocaust als um die Zukunft der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Auch dass sie sich lieber in München als in Berlin aufhält und sich wenig in bundespolitische Debatten einmischte, missfällt manchen.

Im November 2009 empörten sich viele, dass Charlotte Knobloch bei einem Besuch der Gedenkstätte Jad Vaschem den deutschen Außenminister Guido Westerwelle umarmte. Dieser habe sich als FDP-Chef nicht ausreichend von einer antisemitistischen Kampagne seines damaligen Vizes Jürgen Möllemann distanziert, die Umarmung sei eine Rehabilitation ohne Gegenleistung gewesen, hieß es.

Wann fällt die Entscheidung über ihre Nachfolge?

Obwohl ihre Stellvertreter sie so schnell wie möglich loswerden wollten, möchte Charlotte Knobloch ihre Amtszeit beenden und bis November 2010 im Amt bleiben. Dies bewerten Insider als Kompromiss, mit dem die Würde der Präsidentin gewahrt werden soll. Schwer beschädigt hat das Gezerre nun allerdings die Institution des Zentralrats der Juden.

Welche Bedeutung hat der bevorstehende Wechsel an der Spitze des Zentralrats?

Es ist nicht weniger als eine Epochenwende. Die 1932 geborene Charlotte Knobloch überlebte das Dritte Reich, weil die Haushälterin ihres Onkels sie für ihr uneheliches Kind ausgab. Das prägte sie.

"Es ist sicherlich nicht die Aufgabe des Zentralrats, an den Holocaust zu erinnern", sagt sie der Süddeutschen Zeitung am vergangenen Wochenende. Doch: "Wer die Zeit erlebt hat wie ich, der kann sie nicht aus seinem Gedächtnis streichen." Ihr Nachfolger wird einer Generation angehören, die den Nationalsozialismus nur noch aus Erzählungen kennt.

Außerdem hat sich das Judentum in Deutschland sehr verändert. Nur noch elf Prozent der circa 120.000 Juden in Deutschland stammen aus Deutschland, die große Mehrheit sind Einwanderer aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Wer kommt als Nachfolger in Frage?

Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit Vizepräsident Dieter Graumann. Er ist 59 Jahre alt, betreibt in Frankfurt eine Liegenschaftsverwaltung und sitzt im Vorstand der dortigen jüdischen Gemeinde. Er gilt als guter Verwalter und harter Verhandler. Zweifel gibt es an seiner Fähigkeit, die Minderheit der alteingesessenen, zum Großteil recht gläubigen Juden mit der Mehrheit der Einwanderer zu versöhnen, denen der Bezug zur Religion oftmals fehlt.

Salomon Korn, ebenfalls Stellvertreter im Zentralrat, wird hingegen kaum gehandelt, obwohl er schon 2006 als Favorit für die Nachfolge von Knoblochs Vorgänger Paul Spiegel galt. Der Architekt lehnte das Amt damals wegen familiärer Verpflichtungen ab. Wenig spricht dafür, dass er jetzt anders denkt.

Was ist der Zentralrat der Juden in Deutschland?

Der Zentralrat der Juden sieht sich als Vertretung der etwa 120.000 in Deutschland lebenden Juden. Unter dem Dach des Zentralrats sind 23 Landesverbände mit insgesamt 106 Gemeinden organisiert.

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