Jordanien:Das ganze Königreich in Aufruhr

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Pro-palästinensische Demo in Amman in der Nähe der israelischen Botschaft. (Foto: KHALIL MAZRAAWI/AFP)

Am "Tag des arabischen Zorns" versucht Jordanien mit aller Kraft, die Kontrolle zu behalten. Demonstranten fordern derweil, die Grenze zum Westjordanland zu öffnen. Über ein Land im Ausnahmezustand.

Von Dunja Ramadan, Amman

In einer halben Stunde beginnt das Freitagsgebet in der jordanischen Hauptstadt Amman. Für heute wurde der "Tag des arabischen Zorns" ausgerufen, überall in der Region sind Proteste angekündigt: in Ägypten, Tunesien, im Libanon. "Und wir sind es, die den ganzen Zorn abkriegen", sagt Ahmed Saleh, ein sehr müde dreinblickender Polizist, der sich für ein kurzes Gespräch aus dem Hauptquartier geschlichen hat. Er darf nicht mit Journalisten reden, schon gar nicht mit westlichen, deshalb kann sein echter Name nicht in der Zeitung stehen. Seit zehn Tagen habe er nicht mehr zu Hause geschlafen, erzählt er, das ganze Königreich sei in Aufruhr. In nahezu jeder jordanischen Stadt ist an diesem Freitag eine Solidaritätsdemo für Gaza angekündigt.

Die Ansage, die die Sicherheitskräfte bekommen haben, sei: Gebt den Menschen Platz für ihren Schmerz, ihre Wut, ihre Trauer, aber passt auf, dass sie dabei nicht alles kurz und klein schlagen - und schon gar nicht an die Grenze zum Westjordanland marschieren. Unzählige Straßensperren machen ein Durchkommen fast unmöglich, die Demonstrationen in der Altstadt sind übersichtlich, viele Familien sind unterwegs, auch Ausländer, die in Amman wohnen. Deutsche, Amerikaner, die aber nicht mit Journalisten sprechen wollen.

(Foto: Dunja Ramadan)

Sie laufen vorbei an Schaufensterpuppen mit Palästina-Schal, ein Mann bespritzt die Demonstranten mit kühlem Wasser, es bleibt friedlich. Vielleicht auch deshalb weil an vorderster Front Polizistinnen stehen, erst weiter hinten halten die Männer die Stellung.

(Foto: Dunja Ramadan)

Es wird schnell deutlich: An diesem Freitag sind die jordanischen Sicherheitskräfte für alles gewappnet. Vergangene Woche versuchten Demonstranten über die Grenze zum Westjordanland zu kommen und die israelische Botschaft zu stürmen, Bilder des Kontrollverlusts gingen durchs arabische Netz. König Abdullah II. reiste eilig nach Berlin, um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor einem Flächenbrand in der Region zu warnen. Nach dem Beschuss des Krankenhauses in Gaza sagte der König ein geplantes Treffen mit US-Präsident Joe Biden ab und machte Israel für die Bombardierung verantwortlich, er nannte das Vorgehen gegen unschuldige Palästinenser eine "Schande für die Menschheit".

Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch nichts klar - eine unabhängige internationale Untersuchung wäre wohl notwendig, um den Angriff vollständig zu rekonstruieren. Doch König Abdullah II. muss auf die Stimmung der Straße reagieren, in Jordanien lebt die größte palästinensische Diaspora. Gleichzeitig darf er den Westen nicht verprellen, immerhin erhält das Land etwa 3,5 Milliarden Dollar pro Jahr ausländische Hilfe, vor allem aus den USA. Seit der Corona-Pandemie ist die wirtschaftliche Lage im Königreich noch schlechter als zuvor, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 20 Prozent, jedes Jahr kommen mehr als doppelt so viele Arbeitssuchende neu auf den Arbeitsmarkt, wie neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Niemand darf jetzt krank machen

Ahmed Saleh ist seit über 15 Jahren bei der Polizei, aber an so einen Ausnahmezustand kann er sich nicht erinnern. "Wir müssen gerade höllisch aufpassen, dass die Stimmung auf der Straße nicht kippt", sagt er. Bei den Demonstrationen komme es immer zu vielen Diskussionen. "Die Menschen werfen uns vor, Israel zu schützen. Frauen kommen und fragen uns, ob wir keine Kinder haben, kein Mitgefühl für all die Toten in Gaza. Das macht unsere Arbeit so schwer", erzählt Saleh. Vor kurzem hat sich ein Kollege provozieren lassen, er ging dazwischen, jetzt ist er verletzt, aber niemand darf in diesen Tagen krank machen.

Am 7. Oktober 2023 waren er und seine Kollegen von dem Massaker der Hamas, das mehr als 1300 israelische Zivilisten das Leben gekostet hat, mehr als überrascht. "Niemand hat mit dieser Schlagkraft und Brutalität der Hamas-Kämpfer gerechnet", sagt er. "Jeder Mensch hat ein Recht zu leben. Wir leben in Zeiten, die einem Angst machen", sagt der Familienvater.

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"Nach meinem Dienst sehe ich all diese Bilder aus Gaza, mir laufen die Tränen übers Gesicht, ohne dass ich es merke", sagt Saleh. Aber er beobachtet auch viele Fake News, manche würden alte Videos und Bilder teilen und so für noch mehr Wut und Ärger sorgen. "Dabei brauchen wir das gerade echt nicht", sagt er. Dann schiebt er sein Smartphone rüber. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Berliner Polizist die Kerzen von propalästinensischen Demonstranten mit Schuhen tritt und sie schließlich erloschen. "Ich dachte erst, das ist fake, Deutschland rühmt sich doch immer seiner Meinungsfreiheit, aber bei euch geht's gerade auch rund", sagt Saleh und nimmt einen langen Zug von seiner E-Zigarette.

Man spricht nun über die antisemitischen Angriffe und Aussagen in Berlin, die Hakenkreuze an Wohnwänden, die Anschläge auf Synagogen. Saleh schüttelt müde den Kopf. Auch in Jordanien beobachte er, dass viele Menschen antijüdische Parolen rufen, dabei halte er Kritik an Israel für durchaus berechtigt. "Es gibt leider viel Unwissenheit", sagt Saleh und blickt auf die Uhr, er muss vor dem Freitagsgebet unbedingt zurück in der Zentrale sein. Es wird ein langer Tag werden, sagt er und fährt los.

(Foto: Dunja Ramadan)

Wenige Meter weiter strömen Menschen in die König-Abdullah-Moschee mit der türkisfarbenen Kuppel. Ein Mädchen mit Karokleid und weißer Strumpfhose sagt ihrer Mutter, sie wolle heute mal kein Kopftuch tragen und spaziert in den Gebetsraum. Drinnen ist die Stimmung gedämpft, viele Frauen lehnen sich an die kühlen weißen Marmorwände. In der Freitagspredigt geht es natürlich um Gaza, der Imam ruft die Menschen dazu auf, Tag und Nacht Bittgebete zu sprechen und zu spenden. Er spricht von den "zionistischen ungerechten Besatzern", die "Schwäche in ihrem Herzen" tragen und dass die "Umma", die islamische Gemeinschaft, nun vereint sei in ihrer Trauer. Die Hamas erwähnt er nicht.

(Foto: Dunja Ramadan)

Während des Gebets weinen einige Frauen. "Gott ist mit den Geduldigen", sagt der Imam zum Schluss und entlässt die Menschen mit diesen Worten in den Tag des Zorns, der weniger zornig ausfallen wird, als Ahmed Saleh und seine Kolleginnen und Kollegen befürchtet haben.

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