Krieg in der Ukraine:Bundesregierung wehrt sich gegen Johnson-Aussage

Lesezeit: 2 min

Boris Johnson ist nicht mehr im Amt - und nach einem brisanten Interview in Berlin sicher nicht beliebter als vorher. (Foto: Daniel Leal/dpa)

Der ehemalige britische Premier legt in einem Interview nahe, Deutschland habe sich zu Beginn des Krieges eine schnelle Niederlage der Ukraine gewünscht. Berlin attestiert dem Briten ein "eigenes Verhältnis zur Wahrheit".

Von Daniel Brössler, Berlin

Als Boris Johnson noch britischer Premierminister war, ist über das Verhältnis zwischen ihm und Bundeskanzler Olaf Scholz zumindest offiziell wenig bekannt geworden. Es konnte allerdings ziemlich sicher angenommen werden, dass die erheblichen Unterschiede in Temperament und politischen Auffassungen für eine ordentliche Kluft zwischen beiden Politikern gesorgt haben.

Nun ist das gewissermaßen offiziell. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sah sich am Mittwoch in der Bundespressekonferenz veranlasst, dem "sehr unterhaltsamen" früheren Premierminister ein "eigenes Verhältnis zur Wahrheit" zu bescheinigen. Das ist kaum anders zu verstehen, als dass Olaf Scholz Johnson, den er noch im Sommer beim G-7-Gipfel in Elmau bewirtet hat, für einen Lügner hält. Anlass für die ungewöhnliche Offenheit ist eine Plauderei des Ex-Premierministers mit dem Fernsehsender CNN.

Johnson spricht da über die ersten Tage rund um den russischen Überfall auf die Ukraine und bewertet die ersten Reaktion einzelner europäischer Regierungen, die dabei mit Ausnahme seiner eigenen relativ schlecht wegkommen. Frankreich zum Beispiel habe die Gefahr eines russischen Angriffs "bis zum letzten Augenblick" nicht wahrhaben wollen. Italien sei wegen seiner Abhängigkeit von russischer Energie ebenfalls zunächst nicht in der Lage gewesen, hart zu reagieren.

"Ich verrate Ihnen eine schreckliche Sache"

Und Deutschland? "Ich verrate Ihnen eine schreckliche Sache", legt Johnson los. Die deutsche Sichtweise sei zunächst gewesen, "wenn es schon passiert, was ein Desaster wäre, dann soll es wenigstens schnell vorbei sein". Wäre Johnson noch im Amt, würde so eine Behauptung vermutlich eine schwere Krise zwischen Berlin und London heraufbeschwören - läuft sie doch darauf hinaus, dass Olaf Scholz und seine Regierung sich eine schnelle Niederlage der Ukraine gewünscht haben.

Liveblog zum Krieg in der Ukraine
:Klitschko wehrt sich gegen Selenskij-Kritik

Der Bürgermeister von Kiew weist Vorwürfe des Präsidenten zurück, nicht genug zum Schutz der Bürger angesichts von Energieausfällen und winterlichen Temperaturen zu tun. Der ukrainische Energieversorger Energoatom sieht Anzeichen eines russischen Rückzugs aus dem Atomkraftwerk Saporischschja.

Wiewohl Johnson mittlerweile Privatperson ist, scheint die Bundesregierung die Äußerung dennoch für gefährlich und vor allem empörend zu halten. Zumindest in der Ukraine erfreut sich Johnson schließlich immer noch eines hohen Renommees. Wenig überraschend griff überdies auch die russische Propaganda die Worte des Ex-Premiers nur zu gerne auf.

Entsprechend deutlich fiel die Reaktion Hebestreits aus. Er sei versucht, auf Englisch umzuschwenken, sagte er, und tat es dann auch. "This is utter nonsense", versicherte er, blanker Unsinn sei das. Der Regierungssprecher verwies auf die Zeitenwende-Rede des Bundeskanzlers drei Tage nach dem russischen Überfall und die Entscheidung, der angegriffenen Ukraine Waffen zu liefern.

Scholz hatte eine gute Woche vor dem Überfall noch Kremlchef Wladimir Putin in Moskau besucht und versucht, ihn von seinen Kriegsplänen abzubringen. Der riesige Truppenaufmarsch hatte ihn überzeugt, dass die Kriegsgefahr real ist. Die ursprüngliche Einschätzung in Berlin war allerdings auch, dass die Ukraine der russischen Übermacht nicht lange würde standhalten können.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUkraine
:Das Mysterium von Makijiwka

War es ein Kriegsverbrechen an russischen Soldaten oder nicht, was Videobilder aus einem Ort im Donbass zeigen? Ein Teil des Geschehens fehlt in den Aufnahmen, Experten legen sich deshalb bisher nicht fest.

Von Cathrin Kahlweit

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: