USA:"Wie lange lassen wir diese Schlachterei noch zu?"

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"Genug, genug, genug": Nach den jüngsten Amoktaten mahnt US-Präsident Biden in einer emotionalen Rede ein Verbot von Sturmgewehren und strengere Waffengesetze an - und attackiert die Republikaner.

Von Fabian Fellmann, Washington, D.C.

Die 19 getöteten Schulkinder von Uvalde sind noch nicht einmal begraben, da haben bereits ein Dutzend weitere Massenschießereien mit mindestens vier Toten das Land erschüttert. In Tulsa in Oklahoma kaufte sich ein 45-Jähriger ein AR-15-Sturmgewehr, fuhr damit am selben Nachmittag zum Krankenhaus und erschoss seinen Arzt und drei weitere Menschen.

"Genug", sagte nun US-Präsident Joe Biden. Er hat sich am Donnerstagabend aus dem Weißen Haus in die rege Debatte über eine Verschärfung der Waffengesetze eingeschaltet. Das Verfassungsrecht auf Waffentragen habe nie absolut gegolten, sondern sei stets eingeschränkt worden, sagte Biden, und verlangte ein schärferes Waffenrecht als Konsequenz der jüngsten Amokserie. Acht Forderungen stellte er auf.

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  • Ein Verbot von halbautomatischen Sturmgewehren: Sturmgewehre wie die vom Typ AR-15 sind bisher nur in der automatischen Variante untersagt. Die legalen Ausführungen sind sehr beliebt, etwa 20 Millionen Exemplare sind in den USA im Umlauf, bei fast jeder Massenschießerei tauchen sie auf. Biden fordert ein Verbot von Gewehren des Typs AR-15 im ganzen Land. Gemeinsam hätten Republikaner und Demokraten einst ein vorübergehendes Verbot beschlossen, das von 1994 bis 2004 galt. Damals hätten weniger Massenschießereien stattgefunden. Die Republikaner verweigerten jedoch eine Verlängerung. Biden forderte nun, sie sollten zustimmen, Sturmgewehre wieder zu verbieten. Der Präsident wird sich bewusst sein, dass diese Maximalforderung kaum mehrheitsfähig ist - aber er öffnet damit Spielraum für Verhandlungen.
  • Eine Anhebung der Altersgrenze für Sturmgewehre auf 21 Jahre: Falls ein Verbot von Sturmgewehren keine Mehrheit finden solle, solle wenigstens das Mindestalter auf 21 Jahre steigen, forderte Biden. Sturmgewehre sind in den meisten Bundesstaaten frei verkäuflich, bereits an 18-Jährige. Sowohl in Buffalo als auch in Uvalde hatten die Täter kurz nach ihrem 18. Geburtstag AR-15-Sturmgewehre gekauft.
  • Ein Hintergrundcheck mit Wartefrist: In vielen Bundesstaaten können Käufer Waffen direkt aus dem Geschäft tragen. Biden fordert nun eine Wartefrist von mehreren Tagen. In der Zeit sollen die Behörden den Hintergrund von Käufern ausleuchten. Gewalttätern soll der Waffenbesitz verboten werden. Derzeit wird der Hintergrundcheck oft hinfällig, wenn die Behörden nicht innerhalb drei Tagen eingreifen - eine viel zu kurze Frist aus Bidens Sicht.
  • Bundesweite Red-Flag-Regeln: In einigen Staaten können Eltern, Lehrer und Angehörige bereits jetzt Gewalttäter oder Menschen melden, die Taten androhen. Die Behörden entziehen ihnen dann die Waffen. Diese Gesetze sollten im ganzen Land gelten, so Biden.
  • Ein Verbot von großen Magazinen: Normale Bürger hätten keine Verwendung für Magazine mit 30 Schuss, sagte Biden. Die großen Magazine spielen bei den meisten Massenschießereien eine entscheidende Rolle, weil sie Schnellfeuer erlauben. Neun Staaten und die Bundeshauptstadt haben Magazine auf zehn Schuss beschränkt und Sturmgewehre verboten.
  • Vorschriften für die sichere Aufbewahrung von Waffen: Einige Bundesstaaten haben bereits besondere Sorgfaltspflichten für Waffenhalter erlassen. Die sollten nun bundesweit gelten, forderte Biden.
  • Waffenproduzenten in die Verantwortung nehmen: Der Kongress hat den Waffenherstellern per Gesetz Immunität gewährt vor Klagen von Opfern und Angehörigen. Das sei aufzuheben, verlangte Biden. Kein anderer Wirtschaftszweig genieße einen solchen Schutz. Diese Forderung dürfte chancenlos sein, da die Waffenlobby die Wahlkämpfe zahlreicher Republikaner finanziert. Das Geschäft läuft wie geschmiert, seit die von Republikanern dominierten Staaten in den vergangenen 20 Jahren die Waffengesetze stark gelockert haben. Im selben Zeitraum verdreifachte sich die Zahl der verkauften Waffen beinahe.
  • Bessere Betreuung bei psychischen Problemen: Biden versprach, er werde die Betreuung von Menschen mit psychischen Problemen verbessern lassen. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen zu wenig Psychiaterinnen und Psychologen zur Verfügung, an den Schulen fehlt es an Geld und Lehrkräften, um Kinder und Jugendliche mit Problemen eng zu begleiten.

Eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützten solche Maßnahmen, die dem gesunden Menschenverstand entsprängen, sagte Biden. Damit dürfte er recht haben: In Umfragen erhalten Vorschläge für strengere Waffengesetze jeweils eine Mehrheit.

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Anders sieht es im Kongress aus, wo die Demokraten eine Vorlage eingebracht haben, auf die Biden seine Forderungen stützte. Im Repräsentantenhaus verfügen die Demokraten über die Mehrheit, im Senat aber müssten zehn Republikaner zustimmen, sagte Biden ausdrücklich. Sie versuchte er in die Verantwortung zu nehmen mit seinem dramatischen Appell: In Uvalde in Texas hätten die Schüsse aus dem Sturmgewehr einige Kinderleichen derart zugerichtet, dass die Eltern zur Identifizierung DNA-Proben abgeben mussten, sagte Biden und fragte anklagend: "Wie lange lassen wir diese Schlachterei noch zu?" Diese Frage haben schon viele vor ihm gestellt. Diesmal aber sei etwas anders, gab sich Biden zuversichtlich.

Bei allem Engagement vermied es Biden, sich die Waffenrechtsreform zu eigen zu machen, er startet keine eigene Initiative; ein Plan mit seinem Namen würde in einem Zwischenwahljahr ohnehin nur den Widerstand vergrößern. Als Aushängeschilder sollen vielmehr Senatoren beider Parteien dienen, die derzeit in einer Arbeitsgruppe mehrheitsfähige Kompromisse suchen. Die Stäbe des Weißen Hauses seien aber im Hintergrund sehr wohl involviert, beeilte sich Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre zu versichern.

Allerdings scheint Biden selbst nicht ganz daran zu glauben, dass sein Appell diesmal fruchten wird. Bereits jetzt riet er der Wählerschaft, im Herbst den Republikanern die Quittung zu geben, falls die sich weiterhin querstellten. Der Aufruf ist etwas verzweifelt: Die Republikaner verdanken ihre Vetomacht den kleineren Staaten, wo die Demokraten chancenlos sind. Und die steuern einer so gut wie sicheren Niederlage entgegen bei den Zwischenwahlen im Herbst - Waffenrecht hin oder her.

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Biden wirft sich nun trotzdem in die Bresche, weil er damit nichts riskiert. Seine Umfragewerte sind bereits im Keller, und einen Ruf als Macher hat er auch nicht zu verlieren: Zwar brilliert er im Widerstand gegen Wladimir Putin, doch hat er kein Rezept gegen die rekordhohe Teuerung, die für die Wählerschaft das Thema Nummer eins ist - und der Hauptgrund, warum die Demokraten im Herbst vor einer Niederlage stehen.

Biden beklagt sich bei seinem Umfeld immer wieder, seine Leistung werde zu wenig wahrgenommen. Diese Woche hat er nun in den Wahlkampfmodus geschaltet. Mit Notenbankchef Jerome Powell besprach er, wie die Teuerung unter Kontrolle zu bringen wäre, mit der südkoreanischen Boygroup BTS setzte er ein Zeichen gegen Rassismus und mit Experten suchte er Linderung für den Mangel an Säuglingsnahrung.

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