Japan:Selbstbedienung bei den Spenden-Partys

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Schlechte Nachrichten von ganz rechts: Japans Premierminister Fumio Kishida muss die illegalen Geldflüsse an seine Parteigenossen erklären. (Foto: Getty)

Ein Spendenskandal erschüttert Japans Regierungspartei LDP in den Grundfesten. Vor allem die Parteirechten stehen unter Verdacht - trotzdem wächst auch der Druck auf den gemäßigten Premierminister Kishida.

Von Thomas Hahn, Tokio

Diese Tage müssen sich für den japanischen Premierminister Fumio Kishida anfühlen, als stünde er ständig im Regen. Der mächtige Spendenskandal, der seine Regierungspartei LDP belastet, hört nicht auf, schlechte Nachrichten zu produzieren. Hunderte Millionen Yen soll die Seiwa Seisaku Kenkyukai, kurz Seiwaken, die größte LDP-Faktion, unversteuert eingesteckt haben. Der Faktion gehören die Anhänger des ermordeten Nationalisten-Idols Shinzo Abe an. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Dass die Oppositionspartei CDP am Mittwoch, dem letzten Tag der Sitzungsperiode im Parlament, deshalb einen Misstrauensantrag gegen seine Regierung stellte, war noch Kishidas geringstes Problem. Mit der LDP-Mehrheit und den Stimmen des Koalitionspartners Komeito ließ sich der Angriff leicht abschmettern. Aber wie sollte er den Menschen bei der Pressekonferenz am Abend diese Selbstbedienungsmentalität erklären?

Auf der Abschussliste sind wohl allein drei Minister

Fumio Kishida war sichtlich zerknirscht bei seinem Auftritt. Keine Ausflüchte, das hatte er sich wohl vorgenommen. "Um das Vertrauen des Volkes wiederherzustellen, werde ich als Feuerball an vorderster Front stehen", sagte er. Er bestätigte auch, dass er sein Regierungsteam umbauen werde. Namen nannte er nicht. Aber seit Tagen berichten Japans Medien, dass wohl sämtliche Seiwaken-Männer im Kabinett gehen müssen, also Wirtschaftsminister Yasutoshi Nishimura, Agrarminister Ichiro Miyashita, Innenminister Junji Suzuki und Kabinettschefsekretär Hirokazu Matsuno, der in den vergangenen fünf Jahren unrechtmäßig an 10 Millionen Yen, 63 700 Euro, gekommen sein soll. Das erneuerte Kabinett will Kishida an diesem Donnerstag vorstellen.

Die scheinbar unverwundbare LDP erlebt gerade eine Zerreißprobe, die die politische Landschaft im Inselstaat verändern könnte. Die Liberal-Demokratische Partei war ja schon immer eine Sammlung verschiedener konservativer Richtungen, gegründet 1955 als Bündnis gegen die damals populären Linken. Von Anfang an verteilten sich die LDP-Parlamentarier auf verschiedene Faktionen. Bis heute decken sie ein Spektrum von rechtsradikal bis gemäßigt ab. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist die unkritische Haltung zur nationalistischen Grundströmung ihrer Partei, die sich zum Beispiel in der Nähe zur ultrakonservativen Lobby-Organisation Nippon Kaigi ausdrückt.

Zusammen waren diese unterschiedlichen Konservativen fast immer erfolgreich. Nur einmal verlor die LDP ihre Mehrheit im Parlament. 2009 war das, nach diversen Skandalen und der globalen Finanzkrise. Schon drei Jahre später eroberte Shinzo Abe die Macht mit klaren nationalistischen Botschaften zurück. Danach dominierte seine Faktion die LDP-Geschicke. Auch nach Abes Tod achtete der gemäßigte Premier Kishida immer darauf, dass er dessen Anhänger nicht verprellte.

Am Ende war es Schmiergeld und keine Spenden

Aber jetzt stehen ausgerechnet sie im Mittelpunkt dieses Spendenskandals, den die Strafanzeige eines Verfassungsrechtlers ausgelöst hat. Hiroshi Kamiwaki, Professor an der Gakuin-Universität in Kobe, war aufgefallen, dass die Summen, welche die fünf LDP-Faktionen jährlich versteuerten, niedriger waren, als sie nach den Einnahmen ihrer Spenden-Partys hätten sein dürfen. Die Staatsanwaltschaft in Tokio leitete prompt Ermittlungen ein. Es geht dabei nicht nur um den Verdacht, dass LDP-Faktionen Einnahmen nicht gemeldet haben. Sie sollen auch heimliche Schmiergeld-Fonds für unlautere Deals angelegt haben.

Spenden-Partys sind eine wichtige Einnahmequelle der LDP-Faktionen. Deren Mitglieder bekommen Vorgaben, wie viele Tickets sie für diese Partys verkaufen sollen. Wer mehr verkaufte, soll von dem überschüssigen Geld einen Teil als Belohnung bekommen haben, ein anderer Teil soll in einen Fonds zur freien Verwendung geflossen sein. Zwei Faktionen sollen schon überführt sein, die des früheren LDP-Generalsekretärs Toshihiro Nikai. Und eben die des ermordeten Ex-Premiers Abe.

Etwa die Hälfte der 99 Seiwaken-Abgeordneten sollen profitiert haben, binnen fünf Jahren sollen insgesamt 500 Millionen Yen, knapp 3,2 Millionen Euro, heimlich weggesteckt worden sein. Dabei bekam nicht jeder gleich viel. Yasutada Ohno, ein Oberhaus-Abgeordneter aus Gifu, soll die höchste Summe abgezweigt haben, 50 Millionen Yen, 320 000 Euro. Zehn Seiwaken-Mitglieder sollen 10 Millionen Yen und mehr eingestrichen haben, darunter der Kabinettschefsekretär Matsuno.

Der Premier greift durch - und muss selbst dubiose Kontakte erklären

Deshalb greift Kishida jetzt durch. Angeblich sollen insgesamt 15 Seiwaken-Leute ihre Posten verlassen. Aus der LDP-Führung werden wohl Chefstratege Koichi Hagiuda und der Chef für parlamentarische Angelegenheiten, Tsuyoshi Takagi, zurücktreten, zwei weitere Schlüsselfiguren der Seiwaken.

Es wächst auch der Druck auf Kishida selbst. Seine Umfragewerte sind schlecht. Zuletzt kam Kishida in Erklärungsnot, weil herauskam, dass er 2019 bei einer Veranstaltung Funktionäre der sogenannten Vereinigungskirche getroffen hatte; Kishida hatte davor immer gesagt, seines Wissens habe er nie Kontakt gehabt zu jener umstrittenen Sekte, mit der LDP-Leute über Jahre für bessere Wahlergebnisse zusammenarbeiteten. Und am Dienstag berichtete der Sender NHK, dass auch Kishidas Faktion verdächtigt wird, Einnahmen nicht gemeldet zu haben. Erst vergangene Woche war Kishida als ihr Vorsitzender zurückgetreten.

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Auch parteiintern wird Kishidas Lage nicht einfacher. Seiwaken fehlt seit Abes Tod eine starke Führungsfigur. Und weil die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen, wird sich die belastete Faktion wohl erst einmal zurücknehmen. Aber irgendwann wird sie ein Comeback wollen. Von Kishida hielten die Abe-Anhänger noch nie viel. Jetzt finden sie es laut Asahi Shimbun ungerecht, dass selbst Seiwaken-Leute weichen sollen, die nicht an den geheimen Auszahlungen beteiligt waren. "Das ist ein verdammt schlechter Zug", zitierte die Zeitung einen empörten Abgeordneten.

Wer weiß, vielleicht wechselt Seiwaken eines Tages zur rechten Oppositionspartei Nippon Ishin no Kai. Sollte sie bei der LDP bleiben, kommt spätestens im September 2024 ihre Chance. Dann ist die Wahl für die LDP-Präsidentschaft, die traditionell die Voraussetzung für das Amt des Regierungschefs ist. Wenn Fumio Kishida bis dahin nicht eine Wende in seiner kriselnden Partei gelingt, dürften ihn die Rechten aus dem Amt drängen.

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