Japan:Die Tücken des Reiskuchens

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Eine farbenfrohe Auswahl japanischer Reiskuchen. (Foto: bennyartist/imago images)

Das Nationalschmankerl Mochi ist Genuss und Gefahr zugleich. Warum Japans Neujahrsspeise einen Warnhinweis braucht.

Von Thomas Hahn, Tokio

Den Risiken des Reiskuchenessens hat der japanische Regisseur Juzo Itami ein besonders anschauliches Denkmal gesetzt. In seinem Ramen-Western "Tampopo" von 1985 bestellt ein reicher alter Herr alle Gerichte, die er nicht essen soll. Unter anderem Shiruko, süße Rote-Bohnen-Suppe mit Mochi - so heißen die Reiskuchen im Japanischen. Der Herr isst mit vollen Backen. Mit seinen Stäbchen greift er sich auch einen Reiskuchen aus der Suppe. Die zähe weiße Masse formt sich zu einem langen Streifen, ehe er abbeißen kann. Aber der Herr kaut zu hastig. Verschluckt sich, bekommt keine Luft mehr. Die Tischnachbarn stürzen herbei, stellen den Alten auf den Kopf. Letztlich rettet ihn die Titelheldin, indem sie ihm den Lauf eines Staubsaugers in den Mund steckt und das stecken gebliebene Mochi-Stück aus dem Hals saugt.

Die Szene spiegelt eine reale japanische Angst. Das Nationalschmankerl Mochi ist Genuss und Gefahr zugleich. Die Reiskuchen sind so klebrig und schwer zu kauen, dass vor allem alte Menschen daran ersticken können. Besonders nach Silvester ist das Risiko gegenwärtig. Denn Mochi gilt als Glücksbringer. Gerichte mit den Klößen aus gedämpftem Klebreis sind klassische Delikatessen für die Familienfeiern zum neuen Jahr. Die traurige Nebenwirkung: Der Feuerwehr-Bericht zu den Mochi-Toten gehört zum Jahresanfang wie der Schreinbesuch oder die Fukubukuro, die Überraschungspakete, mit denen der Einzelhandel die Schnäppchenjagd beim Neujahrsshopping spannend macht. 2022 mussten in Tokio 19 Menschen ins Krankenhaus. Vier Frauen starben, alle waren über 80.

Das Reiskuchen-Problem ist kompliziert. Zur Debatte steht schließlich nicht nur eine traditionelle Festtagsspeise, sondern auch die Selbstbestimmung der Senioren. Wie im Itami-Film: Mancher Großvater denkt gar nicht daran, sich von der Jugend den Speiseplan vorschreiben zu lassen. In einem Artikel zum Thema auf dem juristischen Fachportal bengo4.com sagt die Managerin einer Pflegeeinrichtung in Hokkaido: "Für die älteren Menschen ist es kein Neujahrsfest, wenn sie nicht Reiskuchen essen." Von Verboten rät sie ab. Die brächten nichts, und unbeobachtetes Mochi-Essen sei erst recht gefährlich. Viele Seniorenheime servieren trotzdem keine Mochi.

Mochi sind kleine Klöße aus Klebreis, oft mit süßer Füllung. (Foto: imago images/ZUMA Wire)

Das Bewusstsein für die Tücken des Reiskuchens ist grundsätzlich schärfer geworden. Die Mochi-Unfallstatistik der Tokioter Feuerwehr weist seit 2011 einen erfreulichen Trend auf. Die jährlichen Warnungen der Behörden scheinen sich auszuzahlen. Hersteller mahnen auf den Mochi-Packungen den richtigen Umgang mit dem urjapanischen Produkt an: mundgerecht schneiden, gut kauen. Diese Empfehlung gibt auch die Verkäuferin in einem Geschäft mit gut bestückter Mochi-Auslage im Bahnhof Omiya. Außerdem werden Alternativen populärer, die sich leichter kauen lassen.

Japan den Reiskuchen ganz abzugewöhnen wäre ein Vergehen an der Kulturnation. Die Menschen im Land müssen also weiterleben mit dem Umstand, dass man an ihrem Neujahrsleibgericht sterben kann, wenn man nicht aufpasst. Immerhin, sie haben ein Ziel: keine Mochi-Toten nach Silvester. Das wäre wirklich mal ein gelungener Start ins neue Jahr.

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