Oberhauswahl in Japan:Japan steht vor einer nationalistischen Wende

Lesezeit: 3 min

Poster-Wahlkampf: Fast ein Dutzend Oppositionsparteien versuchen, der Regierungspartei LDP Konkurrenz zu machen. (Foto: Eugene Hoshiko/AP)

Alles was nicht rechts ist, rückt in dem Inselstaat an den Rand. Davon träumen nationalistische Kreise schon lange. Eine umsichtige Mitte-Links-Opposition wäre besonders wichtig - doch die wird immer schwächer.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Bahnhof Harajuku in Tokio zeigt sich eine der interessantesten Oppositionspolitikerinnen Japans. Renho, 54, Halb-Taiwanesin, Ex-Model, Ex-Nachrichtensprecherin, fällt als Abgeordnete der zentristischen Partei CDP schon deshalb auf, weil sie in der Öffentlichkeit auf ihren Nachnamen Saito verzichtet. Jetzt steht sie im Wahlkampf vor der Oberhauswahl am 10. Juli auf dem Dach eines Kleinbusses und lächelt über den Köpfen des regen Fußgängerverkehrs. Allerdings nicht persönlich, sondern als Pappkameradin.

Ein pink bedresstes Renho-Team verteilt Flyer. Ein Mitarbeiter spricht Parolen in ein Mikrofon. Immerhin, tags darauf hat Renho feste Redetermine in Asagaya und Kichijōji, und auch sonst muss sie viel unterwegs sein. Ihr Büro lehnt eine Interviewanfrage der SZ ab - mit dem Hinweis, dass man auch japanische Medien abgewiesen habe.

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So geht Wahlkampf in Japan. Die Kandidatinnen und Kandidaten wollen da sein, auch wenn sie nicht da sind, und beugen dem Risiko vor, von heimischen Medien falsch verstanden zu werden. Aber ob das die richtige Taktik ist, jetzt, da Japan auf eine historische Wende zusteuert?

Vordergründig geht es bei der Oberhauswahl nur um die Hälfte der Sitze im Sangiin, der schwächeren der beiden Kammern des japanischen Parlaments. Aber tatsächlich könnte die Regierungspartei LDP von Premierminister Fumio Kishida mit Koalitionspartner Komeito sowie den Rechts-Parteien Nippon Ishin no Kai und DPP genauso wie im Unterhaus eine Zweidrittelmehrheit erreichen. Damit wäre eine Voraussetzung erfüllt, um den pazifistischen Artikel neun der Verfassung zu ändern. Japans Rechtsradikale träumen davon schon lange.

"Die Politik in Japan ist dabei, sich neu zu formieren"

Es geht also um viel. Renho Saitos CDP ist die größte Oppositionspartei. Sie gehört zu jenen Kräften, die trotz berechtigter Sorgen wegen der Nachbarn Russland, China und Nordkorea Japans schlecht aufgearbeitete Geschichte als Aggressor im Zweiten Weltkrieg bedenken, wenn es um besagte Verfassungsreform geht. Müsste sie da nicht gerade mehr leisten als die übliche Wahlkampf-Routine?

Tatsache ist: Alles, was nicht rechts ist, hat es in Japan gerade schwer. Bei den Unterhauswahlen im Oktober bildete die CDP ein Mitte-Links-Bündnis mit der Kommunistischen Partei (JCP) und zwei kleineren Parteien. Sie fühlte sich im Aufwind, weil viele mit dem Pandemiemanagement des damaligen Premiers Yoshihide Suga haderten. Aber dann trat Suga rechtzeitig zurück. Und von der verbliebenen regierungskritischen Stimmung profitierten vor allem die Rechten von Nippon Ishin no Kai. Die CDP verlor 13 Sitze.

"Die Politik in Japan ist gerade dabei, sich neu zu formieren", sagt der CDP-Abgeordnete Yukio Edano in seinem Büro im Tokioter Parlamentsviertel Nagatacho. Er bedaure das. Aber besonders alarmiert wirkt er nicht. Edano war bis zur Unterhauswahl der Vorsitzende der CDP. Er ist ein Protagonist der komplizierten Findungsprozesse im Mitte-Links-Spektrum der japanischen Politik. Er selbst gründete die CDP 2017 aus Mitgliedern der Demokratischen Partei, die seinerzeit nicht zur neuen, vermeintlich progressiven Hoffnungspartei der Tokioter Gouverneurin Yuriko Koike überliefen. Die Demokratische Partei wiederum war 2016 aus der DPJ hervorgegangen, die von 2009 bis 2012 die einzige längere Nicht-LDP-Regierung in Japans Nachkriegsgeschichte gestellt hatte. Edano war in dieser Phase unter anderem Chefkabinettssekretär und Wirtschaftsminister. Lange her.

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Friedliebender japanischer Politiker, der wegen Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine seine pazifistischen Grundsätze über Bord werfen muss.

Von Thomas Hahn

Heute ist er eine Symbolfigur der schwindenden Mitte-Links-Kräfte. Wenn er die Lage beschreibt, klingt er seltsam unkritisch. Nippon Ishin no Kai? Sei nach japanischem Verständnis gar nicht eindeutig rechts. Die neue Sicherheitspolitik der LDP, nach der Japan in Zukunft mit eigenen Raketen auf Angriffe reagieren können soll, findet er noch zu vage. Die Hürden, um Artikel neun umzuschreiben, seien "nicht niedrig". Und das wichtigste Thema der nächsten Jahre sei ohnehin die Inflation.

Unter LDP-Abgeordneten kursierten homophobe Pamphlete

Aber so vage ist die Sicherheitspolitik der LDP nicht. Ishins rechte Tendenz ist klar. Noch nie war eine Reform des Pazifismus-Artikels so nah. Und immer wieder zeigen sich menschenfeindliche Tendenzen; neulich erst berichtete die Zeitung Asahi, dass unter LDP-Abgeordneten Pamphlete kursierten, die Homosexualität als Krankheit darstellten. "Ich verstehe, was Sie meinen", antwortet Edano, "wir kämpfen dagegen."

Aber wie? In Unterhaus und Oberhaus zerfällt das Plenum in zu viele Fraktionen. Und das Bündnis der CDP mit den ähnlich Gesinnten gibt es nicht mehr. Es sieht nicht so aus, als könnten Pappkameradinnen und Beschwichtigungen Japans Mitte-Links-Opposition retten.

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