Japan:Aufstand und Abgang des Online-Populisten

Lesezeit: 2 min

Schon beim Gewinn des Sitzes im Oberhaus war er nur zugeschaltet: der Youtuber Yoshikazu Higashitani, bekannt als GaaSyy, im Juli vorigen Jahres. (Foto: Kyodo News/Imago)

Seit seiner Wahl im Juli hat der japanische Oberhaus-Abgeordnete GaaSyy alias Yoshikazu Higashitani keine einzige Sitzung besucht. Jetzt wird er ausgeschlossen. Seine Geschichte erzählt die Folgen der Politikverdrossenheit.

Von Thomas Hahn, Tokio

Was genau der Abgeordnete GaaSyy machte, während er am Mittwoch seinen Sitz in Japans Nationalversammlung verlor, ist nicht bekannt. Sicher war nur, dass er wieder nicht den Auftrag seiner Wählerinnen und Wähler erfüllte, nämlich im Sangiin, dem Oberhaus des Zwei-Kammer-Parlaments in Tokio, ihre Interessen zu vertreten. Sein Platz in der ersten Reihe des Plenums war leer - wie immer, seit GaaSyy alias Yoshikazu Higashitani, 51, im Juli 2022 für die NHK-Partei zum Volksvertreter gewählt wurde.

Wenn er dagewesen wäre, hätte er das Votum des Disziplinar-Ausschusses vom Vortag vielleicht noch abwehren können. Ohne ihn nahm die entscheidende Abstimmung ihren Lauf. Von den 236 Teilnehmenden war nur GaaSyys Parteifreund Satoshi Hamada gegen den Parlamentsausschluss. Es war der erste in Japan seit 1951.

Die kurze Abgeordneten-Karriere des Internet-Bürgers und Künstlernamen-Trägers GaaSyy zeigt, wie anfällig die Demokratie für Blender und Scharlatane sein kann. Sie ist ein Symptom der Politikverdrossenheit in Japan, die viel mit der Regierungspartei LDP zu tun hat, einem mächtigen Sammelbecken konservativer Richtungen. Ihre Abgeordneten sind meist männlich und haben ihre Wahlkreise geerbt. Ihre Stimmen gewinnen sie weniger mit Argumenten als vielmehr durch bewährte Kontakte zu einflussreichen Institutionen.

Viele haben deshalb das Gefühl, dass sie in dieser Demokratie nichts ändern können, und resignieren. Bei der Oberhauswahl am 10. Juli 2022 gaben nur 52 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Und von denen, die zur Wahl gingen, stimmten relativ viele für Anti-Establishment-Populisten. Deshalb sitzt zum Beispiel Sohei Kamiya im Oberhaus, Generalsekretär der jungen Rechts-Partei Sanseito, die gegen Ausländer, Globalisierung und Impfungen antritt. Und so schaffte es auch GaaSyy, obwohl er gar nicht in Japan wohnt, sondern in Dubai, in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Das Ziel der Partei NHK: Auffallen um jeden Preis

Wer ist GaaSyy? Wenn man sein Instagram-Konto anschaut, hat man nicht das Gefühl, dass die Antwort auf diese Frage sehr spannend ist. Er ist ein blondierter Baseballmützen-Träger, der alte Politiker verhöhnt, ohne selbst einen Plan zu haben. Die Aura des unerschrockenen Lebenskünstlers scheint ihm einst die Sympathien diverser japanischer Berühmtheiten eingebracht zu haben, in deren Windschatten er sich bald als Unternehmer profilierte. Aber seine Spielsucht soll ihn in Geldnot gebracht haben. Heute sucht ihn Japans Polizei. Es gibt Anzeigen wegen Rufschädigung. Zu GaaSyys Geschäftsmodell gehörte es nämlich zeitweise, auf dem Video-Portal Youtube Gerüchte über Prominente oder Unternehmer zu verbreiten.

Rund 1,3 Millionen Abonnenten hatte GaaSyy als Youtuber, ehe sein Konto im Juli gesperrt wurde. Das machte ihn für den Populisten Takashi Tachibana interessant, den Gründer der NHK-Partei. Deren Hauptthema: die Abschaffung der Rundfunkgebühr. Ihr Ziel: Aufmerksamkeit um jeden Preis. 2019 gewann sie damit mangels Fünf-Prozent-Hürde ihren ersten Oberhaus-Sitz. GaaSyy sollte mit seiner riesigen Internetgefolgschaft den zweiten erringen. Der Plan ging auf.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Aber dann kam GaaSyy nicht ins Parlament. Nie. Er könne nicht anreisen, weil ihm in Japan die Verhaftung drohe, erklärte er. Ende Februar entschied das Oberhaus: GaaSyy müsse sich persönlich entschuldigen. GaaSyy entschuldigte sich nur per Video. Am Dienstag beschloss das Disziplinarkomitee schließlich den Rauswurf. Der Vorsitzende Muneo Suzuki sagte: "GaaSyy versteht die Grundlagen der Demokratie nicht."

Auf Instagram hat GaaSyy zuletzt Bilder aus dem Erdbebengebiet in der Türkei geschickt. Da ist er wohl gerade. Sein Mentor Tachibana erklärte vergangene Woche, er wolle wegen des Ärgers als Vorsitzender zurücktreten, außerdem heiße seine NHK-Partei jetzt Seijika Joshi 48 To, Junge-Politikerinnen-48-Partei. Gut möglich, dass er und GaaSyy gerade ganz zufrieden sind. Sie hatten zuletzt mehr Aufmerksamkeit, als sie mit vernünftiger Politik je bekommen hätten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJapan
:Keine Gnade für die Sushi-Terroristen!

Junge Menschen schlecken in Restaurants Gegenstände ab, die für alle Gäste bereitstehen: Das ist ein Problem in Japan. Die Gastronomie schlägt zurück. Und es gibt auch schon erste Verhaftungen.

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: