Japan:Machtmänner und ihre Pfründen

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Japans Premier Yoshihide Suga, (vorne Mitte), und sein Kabinett im September 2020. (Foto: Issei Kato/AP)

Die rechtskonservative Regierungspartei LDP will künftig weibliche Abgeordnete zu den Sitzungen des Vorstands einladen - sprechen sollen sie jedoch nicht. Wann aber wir das Land nachhaltige Fortschritte bei der Gleichstellung machen?

Von Thomas Hahn, Tokio

Ob die Gleichstellung in Japan wirklich nachhaltige Fortschritte machte, war auch am Freitag nicht klar. Aber immerhin schien den Inselstaat eine Welle der politischen Korrektheit erfasst zu haben. Seiko Hashimoto, die neue Präsidentin des Organisationskomitees für die Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio (Tocog), sagte, sie werde aus der rechtskonservativen Regierungspartei LDP austreten; die Opposition hatte zuvor Neutralität für ihr Amt angemahnt. Es sickerte außerdem durch, dass Hashimotos Vorgänger Yoshiro Mori, der nach sexistischen Aussagen die Präsidentschaft abgegeben hatte, keinen Tocog-Posten mehr bekommt.

Für Hashimotos Nachfolge an der Spitze des Ministeriums für Olympia, Frauen-Empowerment und Gleichstellung wurde eine Frau bestellt: Tamayo Marukawa, bisher LDP-Parlamentarierin, früher schon Ministerin. Zum Antritt sagte sie: "Leider ist zuletzt klar geworden, dass Japan erst auf dem halben Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ist." Und in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige entschuldigte sich eine Software-Firma für ihren frauenlosen Vorstand. "Das ist echt peinlich", hieß es im Text.

Erstaunlich, was Empörung in Japan auslösen kann. Bald drei Wochen ist es her, dass der Ex-Premierminister Yoshiro Mori, 83, als Tocog-Präsident bei einem Meeting ausführlich zu bedenken gab, dass sich Vorstandssitzungen mit mehr Frauen "hinziehen" würden. Es folgte Kritik im In- und Ausland, die selbst Japans männerdominierte Politik-Elite nicht so einfach durchwinken konnte. Denn die anhaltende Negativstimmung fiel auf die Sommerspiele zurück, die wegen der Pandemie bei der Bevölkerung ohnehin schon unbeliebt sind.

Bei seinem Rücktritt sagte Mori, die Medien hätten die Debatte angefacht - er schien nicht zu verstehen, dass sein Einwand gegen mehr Frauen in Vorständen eine Kernforderung für mehr Geschlechtergerechtigkeit torpedierte. Und nun wollen eben alle mehr Frauenverständnis aufbringen.

Besserung ist nicht in Sicht

Die Frage ist, ob der Aufregung ein echter Wandel folgt. Längst haben Fachleute angemahnt, dass man den Ärger nicht auf das Benehmen eines einzelnen alten Mannes reduzieren dürfe. "Dieses Problem hat damit zu tun, wie Entscheidungen in Japan gemacht werden und wie voreingenommen Männer an der Macht sind", sagte die Soziologin Kiriu Minashita von der Tokioter Kokugakuin-Universität in der Zeitung Mainichi. "Moris Rücktritt reicht nicht, wir sollten den Hintergrund seiner Bemerkungen korrigieren."

Und hier wird die Debatte kompliziert, denn Japans Gesellschaft ist nicht nur einfach von Männern dominiert. Sie ist geprägt von einem Beharrungswillen, der nachhaltigen Wandel schwer macht.

2013 verkündete der damalige LDP-Premierminister Shinzo Abe, er wolle ein "Japan, in dem Frauen scheinen können". Seine sogenannte Womenomics-Politik war dann auch besser als kein Fortschritt. Aber um Gleichstellung ging es dabei eigentlich nicht, vielmehr um eine Strategie, den Arbeitskräftemangel in der überalterten Gesellschaft kleinzukriegen.

Die Folgen sieht man jetzt: Vergangenes Jahr musste die Regierung das Ziel von 30 Prozent Frauen in Führungspositionen verschieben. Nach ihren Zahlen lag die Quote für börsennotierte Unternehmen 2019 bei gerade mal 5,2 Prozent. Im aktuellen Regierungskabinett gibt es nur zwei Frauen. Von den 47 Präfekturen werden auch nur zwei von einer Frau geführt. Der Frauenanteil im Unterhaus des Nationalparlaments lag im vergangenen Oktober bei 9,9 Prozent. In den Lokalparlamenten des Landes sieht es nicht viel besser aus.

Besserung ist zunächst nicht in Sicht. Die LDP hängt von den Stimmen aus Japans starken nationalistischen Kreisen mit ihren traditionellen Rollenbildern ab. Dort grätscht man frauenfreundliche Reformideen nieder: Zum Beispiel soll der Kaiserthron für Frauen tabu bleiben. Frau und Mann sollen beim Heiraten nicht ihren jeweiligen Nachnamen behalten dürfen. Aber auch in wichtigeren Fragen ist der Fortschritt schleppend. Das Sexualstrafrecht wurde 2017 leicht verschärft, aber blieb im Kern wie seit 1907: Vergewaltigte müssen demnach beweisen, dass ihr Peiniger ihnen körperlichen oder seelischen Schaden zugefügt hat.

Japans Feministinnen beklagen, dass ihr Kampf um eine echte Reform von den männerdominierten Mainstream-Medien missachtet werde. Aber auch sonst scheint die Konsensgesellschaft zusammenzuhalten, wie die Journalistin Shiori Ito feststellen musste. Seit sie 2017 öffentlich machte, dass sie von einem bekannten Journalisten vergewaltigt worden sei, wird sie von vielen Japanerinnen angefeindet.

Die traditionelle Rolle der Frau als züchtiges Familienmitglied sei tief verankert im Bewusstsein vieler japanischer Menschen, hat im vergangenen Jahr die Soziologin Chizuko Ueno, Japans bekannteste Feministin, in einem SZ-Interview erklärt. "Daher kommt die Tendenz, es auf ein Fehlverhalten der Frauen zu schieben, wenn sie Opfer eines Übergriffes werden."

Frauen und Japan. Das Thema ist größer, als die Debatte um einen nassforschen LDP-Altvorderen vermuten lässt. Dass die Medien vor den pandemischen Spielen diese aufgreifen, macht manchen Hoffnung. Aber in der LDP schützen vorerst noch die alten Machtmänner ihre Pfründen. Und wenn sie doch mal so etwas wie Frauenförderung vorhaben, klingt das mehr gönnerhaft als respektvoll. Toshihiro Nikai, der 82-jährige LDP-Generalsekretär, erklärte diese Woche einen neuen Plan für den Parteivorstand. Künftig wolle man fünf weibliche Abgeordnete zu dessen Sitzungen einladen. "Es ist wichtig, voll zu verstehen, welche Art von Diskussionen passieren", sagte Nikai. "Hinschauen, darum geht es." Mitreden sollen die Frauen nicht. Yoshiro Mori hätte seine Freude.

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