20 Jahre Montagsdemonstration:Das Wunder von Leipzig

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"Wir sind das Volk" und "Gorbi, Gorbi": Am 9. Oktober 1989 begannen in der DDR Massenproteste, die das Ende der SED-Herrschaft einläuteten. Viele Demonstranten riskierten alles.

Robert Probst

So hatte sich die DDR-Führung den 40.Jahrestag der sozialistischen Staatsgründung ganz und gar nicht vorgestellt. Gerade waren die Flüchtlinge aus der Prager Botschaft ausgereist, bei der Jubelfeier am 7. Oktober hatte Michail Gorbatschow Reformen angemahnt und überall im Land mehrten sich die Rufe nach mehr Demokratie. Für das Politbüro waren diese Demonstrationen "rowdyhafte Zusammenrottungen". Staatsratschef Erich Honecker gab die Weisung, solcherlei Krawalle künftig "von vornherein zu unterbinden". Die Machtprobe folgte prompt: Am 9. Oktober 1989 zogen 70.000 Menschen friedlich durch Leipzig, der Staatsapparat griff nicht ein - ein dramatischer Wendepunkt dieser Krisenzeit. Genau einen Monat später fiel in Berlin die Mauer.

Die Leipziger wussten, was auf sie zukommen könnte. Die Staatsführung war auf einen neuen "17. Juni" vorbereitet. 1953 hatten an diesem Datum bewaffnete Einheiten den Aufstand der Arbeiter blutig niedergeschlagen. "Konterrevolutionäre Aktionen" würden notfalls mit Waffengewalt unterbunden werden, so stand es in der SED-Parteizeitung. Viele Menschen fürchteten eine "chinesische Lösung" - sie dachten an die brutale Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking im Juni 1989. Und doch machten sich Tausende auf zum Friedensgebet in der Nikolai- und anderen Kirchen. "Ich weiß von vielen Menschen, die alles riskiert haben, die sich von ihren Eltern verabschiedet haben an diesem Tag", berichtet der Star-Dirigent Kurt Masur.

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Nach dem Friedensgebet zog eine riesige Menschenmenge über den Innenstadtring; die Bürger riefen "Wir sind das Volk", "Gorbi, Gorbi" oder "Wir sind keine Rowdys" - und Tausende bereitstehende Polizisten, Angehörige der Kampfgruppen und Soldaten sahen dieser machtvollsten Demonstration seit dem Juniaufstand 1953 tatenlos zu; diese Massen hatten sie nicht erwartet; sie standen nicht einer Handvoll Rädelsführern oder einer Gruppe aus dem Westen gesteuerter "Imperialisten" gegenüber, sondern dem Volk selbst. Viele sprachen von einem "Wunder". Es war der Auftakt zu den großen Massenprotesten, die die DDR schließlich zum Einsturz brachten.

An den Tag vor 20 Jahren erinnert Leipzig an diesem Freitag mit einem Festakt im Gewandhaus, erwartet werden etwa Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Geplant ist auch ein Friedensgebet in der Nikolaikirche und am Abend ein Lichtfest, bei dem an den historischen Demonstrationszug über den Innenstadtring erinnert werden soll.

© SZ vom 09.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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