40 Jahre Gaddafi:Libyens letzter Beduine

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Muammar el Gaddafi regiert länger als einst Mao, Stalin oder jeder demokratisch gewählte Politiker irgendwo auf der Welt. Doch trotz der Öl- und Gasmilliarden geht es den Libyern schlecht.

Rudolph Chimelli

An politischer Langlebigkeit hat Muammar el Gaddafi fast alle übertroffen. Er regiert bereits länger als einst Mao, Stalin oder die anderen Diktatoren des vergangenen Jahrhunderts, länger als alle sonstigen Potentaten Arabiens, länger als jeder demokratisch gewählte Politiker irgendwo auf Erden.

Seit dem 1. September 1969 Libyens Staatschef: Muammar el Gaddafi. (Foto: Foto: dpa)

Wenn der libysche Revolutionsführer in der kommenden Woche die 40. Wiederkehr des Tages feiern lässt, an dem er als damals unbekannter 27-jähriger Hauptmann König Idriss absetzte, dann könnte allein Fidel Castro auf eine um zwei Jahre längere Amtszeit zurückblicken. Doch Gaddafi hat gar kein Amt. Nie war er Präsident oder Chef einer Staatspartei. Er hat nur alles zu sagen in Libyen, jetzt schon seit vier Jahrzehnten.

Gaddafi wird zwar nicht in kleiner, aber doch nicht in so feiner Gesellschaft feiern, wie er hoffen mochte. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Teilnahme Tripolis voreilig angekündigt hatte, lässt dementieren. Die Russen Dmitrij Medwedjew und Wladimir Putin haben ihre von den Libyern angesagte Teilnahme so wenig bestätigt wie das spanische Königspaar. Sie alle hätten zu befürchten, auf einer hinteren Reihe ihrer Gasttribüne Abdelbasset Ali al-Megrahi zu entdecken, den heimgekehrten Attentäter von Lockerbie. Doch dafür kommen Dutzende afrikanische Staatschefs, der Venezolaner Hugo Chávez und andere bewährte Anti-Imperialisten.

Selbst ernannter "König von Afrika"

Eben jener Anti-Imperialismus ist die Konstante in der Biographie des Libyers, auch wenn er ihn zurückstutzte, um vom Paria, dem "tollwütigen Hund" Ronald Reagans, wieder zu einem umworbenen Star des internationalen Polit-Zirkus zu werden. Gaddafi hat es weit gebracht auf diesem Weg. Libyen unterhält wieder gute Beziehungen zu den USA, längst sind alle Sanktionen aufgehoben, der Reigen westlicher Regierungschefs in Gaddafis Zelt reißt nicht ab.

Er ist Vorsitzender der Afrikanischen Union und lässt sich geschmeichelt "König von Afrika" nennen. Libyen präsidierte schon dem UN-Menschenrechtsausschuss und gehört derzeit dem Sicherheitsrat an. Im nächsten Monat wird Gaddafi erstmals zur Vollversammlung nach New York reisen, um eine Rede zu halten.

Doch gerade die Umarmung Megrahis zeigt, dass sich an den Gefühlen des gealterten Revolutionärs nichts geändert hat. Er hat die Lust an der Provokation nicht verloren und trumpft gern auf. Auch wenn er für Attentate Entschädigungen zahlt und seit dem 11. September 2001 seine gute Kenntnis des arabischen Untergrundes den Amerikanern zur Verfügung stellt, weil ihm selber die Islamisten an den Kragen wollten: Für seine Landsleute will er auf keinen Fall wie eine Marionette des Westens aussehen.

Und deswegen stellt Gaddafi falsche Spiegelbilder her: Waren nicht die bulgarischen Krankenschwestern in Libyen zum Tod verurteilt? War nicht vereinbart, dass sie nach ihrem Freikauf die Strafe in der Heimat absitzen sollten? Wurden sie nicht dennoch von ihrem Präsidenten und europäischen Würdenträgern freudig als Opfer libyscher Willkür begrüßt? "Sind wir Esel, sind sie Menschen?", kommentierte Gaddafi öffentlich die westliche Empörung über Megrahis Erhebung zum nationalen Märtyrer.

Jeder nördlich des Mittelmeers oder westlich des Atlantiks weiß, dass seine Parallele falsch ist. Aber in Libyen kommt sie gut an. Auch Gaddafis Sohn Seif-ul-Islam nutzte die Gelegenheit, Megrahi in Schottland abzuholen, um sich damit in der Nachfolgefrage gegenüber seinem Bruder und Konkurrenten Motassem-Billah für das Publikum zu profilieren.

Eine Erfolgsgeschichte hat Gaddafi für den "Massenstaat", den er entwarf, in seinem halben Menschenalter an der Macht nicht geschrieben. Das Land exportiert pro Kopf seiner nur sechseinhalb Millionen Einwohner kaum weniger Erdöl als Saudi-Arabien.

Versandeter Ehrgeiz

Doch die Unterschiede in Lebensstandard, Infrastruktur und Entwicklung sind gewaltig. Niemand hungert in Libyen. Aber die Löhne sind extrem niedrig, und Arbeitslosigkeit ist unter jungen Leuten fast der Regelfall. Außer beim unproduktiven Staat gibt es kaum Stellen. Ein großer Teil der Öleinnahmen wurde für Prestigeprojekte, Rüstungskäufe und Zahlungen an vermeintliche Freunde vergeudet.

Versandet ist der Ehrgeiz des Revolutionsführers, Motor der arabischen Einheit zu werden. Er schloss fast ein Dutzend Unionsverträge, mit den Nachbarn Ägypten und Tunesien, aber auch mit entfernten Staaten wie Marokko oder Syrien. Alle wurden schnell zu Makulatur, denn kein arabischer Staatschef wollte Gaddafis Führungsanspruch hinnehmen.

Er wiederum war nie bereit, sich unterzuordnen. Mehr als einmal war er nahe daran, aus der Arabischen Liga auszutreten. Dass Libyens intellektuelles und zivilisatorisches Potential von den arabischen Brüdern gering eingeschätzt wird, wollte er nie sehen. So wie er seit seiner Hinwendung zu Afrika nicht begreifen will, dass auch die neuen Verbündeten nur von seinem Geld fasziniert sind.

Dank Gaddafi wohnen ehemalige Beduinen heute in hässlichen Betonhäusern mit Kühlschränken und essen Import-Lebensmittel zweiter Wahl. Bald könnte er der letzte Wüstenromantiker sein, der noch im Zelt schläft und Kamelmilch trinkt.

© SZ vom 28.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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