Gnade für Lockerbie-Terrorist:Bohrende Zweifel

Heute entscheidet sich, ob der Attentäter von Lockerbie freigelassen wird - der Libyer ist todkrank. Doch zugleich wollen die Briten in Nordafrika Öl fördern und Prinz Andrew umwirbt Diktator Gaddafi.

Wolfgang Koydl

Seine Königliche Hoheit, Prinz Andrew Albert Christian Edward, der Herzog von York, ist der zweitälteste Sohn von Königin Elisabeth und die Nummer vier der Thronfolge. Doch besser bekannt - und vor allem nutzbringender für sein Land - ist seine freiberufliche Tätigkeit als Handelsvertreter der britischen Industrie. Rastlos bereist der Prinz den Globus, um Produkte und Dienstleistungen "Made in Britain" zu verkaufen.

Gnade für Lockerbie-Terrorist: Beim Bombenanschlag auf den PanAM-Flug 103 kamen alle 259 Insassen der Maschine ums Leben.

Beim Bombenanschlag auf den PanAM-Flug 103 kamen alle 259 Insassen der Maschine ums Leben.

(Foto: Foto: Reuters)

Normalerweise werden seine Reisen von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Doch nun hat eine Reihe von Besuchen in Libyen Fragen aufgeworfen, die für die Regierung von Gordon Brown unangenehm werden könnten.

Denn es hat den Anschein, als ob Andrews Reisen indirekt im Zusammenhang mit Überlegungen stehen könnten, den zu lebenslanger Haft verurteilten libyschen Lockerbie-Attentäter Abdelbasset Ali al-Megrahi zu begnadigen und in die Heimat ausreisen zu lassen. An diesem Donnerstag will der schottische Justizminister Kenny MacAskill die Entscheidung verkünden. Britische Medien und CNN wollten bereits am Mittwochabend aus dem US-Außenministerium erfahren haben, al-Megrahi solle begnadigt werden.

Prinz Andrew traf mehrmals mit Gaddafi und dessen Sohn zusammen

Der britische Prinz war allein in den letzten zwei Jahren viermal nach Libyen gefahren, wo er mit dem Staatschef und dessen Sohn und designiertem Nachfolger zusammengetroffen war. Sohn Seif el-Islam Gaddafi traf kürzlich auch Industrieminister Lord Mandelson im Urlaub auf Korfu. Dazu kamen private Begegnungen des Prinzen mit dem Revolutionsführer in Tunesien und eine Einladung an den Sohn nach Windsor Castle. Er sei sich "nicht bewusst", kommentierte ein Sprecher von Prinz Andrew diese außergewöhnlich hohe Gesprächsfrequenz, ob dabei auch der Fall Megrahi angesprochen worden sei.

Zumindest indirekt wird der Terrorist ein Thema gewesen sein, als Andrew die Chancen der drei britischen Energiekonzerne British Petroleum (BP), Royal Dutch Shell und BG Group zu erhöhen suchte, den Zuschlag für die Ausbeutung gigantischer Öl- und Gasvorkommen vor der libyschen Küste zu bekommen. Seit der Aufhebung der Sanktionen gegen Libyen vor sechs Jahren haben sich diese drei Unternehmen stark in dem nordafrikanischen Land engagiert, aus dem Gaddafi sie nach der Nationalisierung der Ölförderanlagen 1974 hinausgeworfen hatte. In die Erschließung der neuen Vorkommen hat BP 900 Millionen Dollar gesteckt. Als größtes Hindernis für einen Geschäftsabschluss wird die Inhaftierung Megrahis angesehen, der 2001 als einziger Verantwortlicher für Lockerbie schuldig befunden war.

Drei Tage vor dem Heiligen Abend des Jahres 1988 war an Bord des PanAm-Jumbos 103 von Heathrow nach New York über dem schottischen Dorf Lockerbie eine Bombe explodiert. 270 Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben. Libyen hatte sich 2005 zu der Tat bekannt und den Hinterbliebenen mehr als zwei Milliarden Dollar Schadenersatz gezahlt. Dieser Schritt galt als Voraussetzung für die Aufhebung von Sanktionen und die Rückkehr des Landes in die internationale Staatengemeinschaft. Besiegelt wurde dies durch eine Visite des damaligen britischen Premiers Tony Blair bei Gaddafi in dessen Beduinenzelt.

Neue Beweise könnten ein anderes Licht auf den Anschlag werfen

Obschon das Lockerbie-Verbrechen durch Megrahis Haft und Gaddafis Zahlungen also gesühnt zu sein schien, blieben doch einige Fragen offen. Vor allem viele Angehörige der britischen Opfer glaubten nie an die Schuld Megrahis oder Libyens. Hartnäckig halten sich bis heute Spekulationen, dass in Wirklichkeit Iran hinter dem Anschlag stehe - als Vergeltung für den Abschuss eines iranischen Airbus-Jets durch den amerikanischen Raketenkreuzer Vincennes im Juli 1988, bei dem 290 Menschen starben. Die USA zahlten 1996 eine Entschädigung in Höhe von 61,8 Millionen Dollar an iranische Hinterbliebene. Eine Entschuldigung oder gar ein Schuldeingeständnis jedoch brachten sie nicht vor.

Seit Megrahis Verurteilung hat eine schottische Untersuchungskommission neues Beweismaterial gesammelt, das ein anderes Licht auf den Lockerbie-Anschlag werfen könnte. Diese Beweise wären Bestandteil eines Revisionsverfahrens gewesen, das Megrahis Anwälte angestrengt hatten. Doch dieses Begehren hat der Libyer nun zurückgezogen - als rechtliche Voraussetzung für seine Begnadigung. Die Hinterbliebenen wittern einen schmutzigen Deal: Da die britische Regierung nicht daran interessiert sei, den Fall neu aufzurollen, habe sie dem unheilbar kranken Megrahi die Freilassung im Gegenzug für die Einstellung aller Berufungsverfahren in Aussicht gestellt.

"Leider haben wir so etwas von Anfang an befürchtet", sagt der britische Geistliche John Mosey, dessen Tochter bei dem Anschlag getötet wurde. "Die Behörden - in Schottland, in London und in Washington - wollen nicht, dass weitere Informationen ans Licht kommen." Für diese Theorie spricht die Eile, mit der die Regierung ein Gesetz durchs Parlament peitschte, das einen Häftlingsaustausch zwischen Libyen und dem Vereinigten Königreich regelt. Mitglieder des Menschenrechtsausschusses haben kritisiert, dass sie keine Gelegenheit erhalten hätten, das Abkommen unter die Lupe zu nehmen. "Ob jemand nach Öl bohren darf, sollte keinen Einfluss auf einen Kriminalfall haben", sagte der konservative Earl of Onslow dazu.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: