Es ist nun fast ein Jahr her, dass Matteo Renzi einen Satz sagte, den er später bereut haben dürfte. Ende Dezember 2015 hatte Italiens Regierungschef zur Pressekonferenz geladen, es war ein Rückblick auf das vergangene Jahr und ein Ausblick auf das kommende. Und da sagte Renzi, die Presse vor sich, eine nüchterne Holzwand hinter sich, zwei Wasserflaschen rechts und links: "Wenn ich das Referendum über die Verfassungsreform verliere, betrachte ich meine politische Karriere als beendet."
Er hätte das nicht sagen müssen. Später hat er sich von diesem Satz distanziert. Aber da war das Referendum über die Verfassungsreform ohne zwingenden Grund schon zu einem Referendum über Renzi geworden. Nun hat Renzi verloren. Die Wähler haben nicht nur den von ihm vorangetriebenen Reformvorschlag, sondern auch den Premier selbst abgelehnt.
Kritik von politischen Gegnern und aus der eigenen Partei
Was Renzi vielleicht einmal als Drohung gemeint haben könnte - entweder die Reform kommt durch, oder er tritt zurück - wurde für seine Gegner zu einem Versprechen. Beppe Grillo von der Protestpartei Cinque Stelle, Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, Ex-Premier Silvio Berlusconi: Selten waren sie sich so einig wie in diesem Nein zur Reform, dem Nein zu Renzi. Grillo verstieg sich sogar dazu, Renzi mit dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet zu vergleichen. Und wer beim Referendum mit "Ja" stimme, sagte Grillo, mache sich zum "Serienmörder an der Zukunft der Kinder."
Selbst innerhalb der eigenen Partei, dem Partito Democratico, erfuhr Renzi zuletzt Kritik, vor allem seit der letzten Arbeitsmarktreform. Bei Linken ist der ehemalige Bürgermeister aus Florenz unbeliebt, wird als Vertreter von Austeritätspolitik und Neoliberalismus bezeichnet. Den Konservativen wiederum gehen seine Reformen nicht weit genug. Und vielen Bürgern galt Renzi immer schon als arrogant, seine Reformen gingen vielen zu schnell, trotz seiner Versprechungen spürten sie keine Verbesserungen.
Dass die Mehrzahl der Wähler die Verfassungsreform abgelehnt hat, dürfte also in großen Teilen daran liegen, dass sie die Chance ergreifen wollten, Renzi loszuwerden. Man werde ihn "nach Hause schicken", konnte man in zahlreichen Online-Kommentaren lesen und auf der Straße hören.
Gegner sahen Gewaltenteilung in Gefahr
Doch nicht alle, die mit Nein gestimmt haben, sind zwingend Protestwähler, die Renzi unreflektiert einen Denkzettel verpassen wollten. Die Verfassungsreform hätte das politische System Italiens grundlegend verändert. Nicht nur Renzis politische Gegner, auch eine Reihe von Verfassungsrechtlern und Intellektuellen hatte sich deshalb gegen die Reform ausgesprochen. Sie sahen die Gewaltenteilung, gar die Demokratie in Gefahr.
Als letztes Land in der Europäischen Union hat Italien ein politisches System, bei dem die beiden Kammern der gesetzgebenden Gewalt - Abgeordnetenhaus und Senat - die exakt gleiche Macht haben. Der Senat muss Gesetzen zustimmen und kann nicht vom Parlament überstimmt werden. Was Regieren zu einem oft mühsamen Unterfangen macht. Renzi wollte diesen "Bicameralismo perfetto" abschaffen und den Senat entmachten. Auch die Zusammensetzung des Senats hätte sich geändert: Statt 320 Senatoren wären nur noch 100 übrig geblieben, die aus den Regionen entsandt worden wären und in einer Doppelfunktion agiert hätten - in ihrer Region und in der geschrumpften zweiten Kammer. Die Senatoren wären nicht mehr direkt gewählt worden; Kritiker der Reform fühlten sich daher als Wähler nicht ernst genommen.
Was einige Reform-Gegner befürchteten: Mit einem Ja zur Verfassungsreform wäre die Macht der Regierungspartei zu groß geworden. Denn Renzi hatte dieses Jahr schon das Wahlrecht reformiert.
Bei Parlamentswahlen treten in Italien sogenannte Parteienkoalitionen an: Zusammenschlüsse, die sich vor der Wahl formieren und geschlossen aufstellen. 2013 bestand beispielsweise die Mitte-Links-Koalition neben Renzis PD unter anderem aus der SEL (Linke, Ökologie und Freiheit), der Sozialistischen Partei Italiens und der Demokratischen Zentrumspartei. Der Koalition mit den meisten Stimmen fallen 55 Prozent der Sitze im Parlament zu, Oppositionsarbeit findet auch innerhalb der Parteienkoalition statt. Die Wahlrechtsreform vom 1. Juli löste das Koalitionsprinzip auf: Die Partei mit den meisten Stimmen vereint ab der nächsten Wahl 55 Prozent der Sitze auf sich. Dazu muss sie 40 Prozent der Stimmen erreichen. Werden diese nicht erreicht, treten die beiden stärksten Kräfte in einer Stichwahl gegeneinander an, der Sieger bekommt dann 55 Prozent der Sitze.