Italien:Was sich mit der Verfassungsreform in Italien ändern würde

Italien: Kommt Renzis Reform durch, würden die Kompetenzen des Senats eingeschränkt.

Kommt Renzis Reform durch, würden die Kompetenzen des Senats eingeschränkt.

(Foto: AFP)
  • Am 4. Dezember wird in Italien in einem Referendum über eine große Verfassungsreform abgestimmt.
  • Zwei Jahre hat es gebraucht, um 47 der 139 Artikel der Verfassung neu zu formulieren.
  • Im Zentrum der Reform steht eine Überholung des Parlamentsbetriebs, so würden die Kompetenzen des Senats eingeschränkt.

Von Oliver Meiler, Rom

Noch anderthalb Wochen. "Rush finale", sagen die Italiener, halb Englisch und halb Italienisch, Schlussspurt. Und obschon man denken könnte, dass nach der langen Kampagne alles gesagt sei über die große Verfassungsreform, über die am 4. Dezember abgestimmt wird, verkommt die politische Auseinandersetzung zwischen dem "Sì" und dem "No" kurz vor dem Referendum zur hässlichen Propagandaschlacht voller Beschimpfungen und postfaktischer Ablenkungsmanöver.

Der frühere Staatspräsident Giorgio Napolitano spricht von einem "absurden Duell". Das Land ist gespalten, unentschlossen und verwirrt. Niemand wagt Prognosen über den Ausgang. Umfragen dürfen seit einigen Tagen keine mehr publiziert werden. Die letzten aber deuteten auf eine Ablehnung der Reform hin - bei zwanzig Prozent Unentschiedenen.

Für Italiens politisches System ist es der bedeutsamste Entscheid seit sieben Jahrzehnten, seit der Ausrufung der Republik. 47 der 139 Artikel der Verfassung sind neu formuliert worden. Gebilligt vom Parlament, in sechs Lesungen. Zwei Jahre hat es dafür gebraucht. Der Impuls für die Reform ging vom sozialdemokratischen Partito Democratico und von dessen Chef, Premierminister Matteo Renzi, aus und wurde zunächst von einem Teil der Opposition mitgetragen.

Silvio Berlusconis bürgerliche Partei Forza Italia hatte bei der Formulierung mitgemacht: Der Reformpakt zwischen Renzi und Berlusconi, als "Patto del Nazareno" bekannt geworden, weil er in der Parteizentrale des Partito Democratico am Largo del Nazareno in Rom unterzeichnet wurde, blieb etwa ein Jahr bestehen. Dann brach Berlusconi mit Renzi, weil der angeblich eine Abmachung bei der Wahl des Staatspräsidenten gebrochen hatte.

Die Kompetenzen des Senats würden eingeschränkt

Seither widersetzt sich Forza Italia im Verbund mit der gesamten übrigen Opposition der Reform. Definitiv verabschiedet wurde sie dann auch von einer einfachen Mehrheit im Parlament und nicht von einer Dreiviertelmehrheit. So wurde ein "Referendum confermativo" nötig, ein bestätigendes Referendum. Legen nun mehr als 50 Prozent der Italiener, die zur Urne gehen, ein "Ja" zur Reform ein, tritt sie in Kraft. Sagt eine Mehrheit "Nein", bleibt alles beim Alten. Ein Quorum, also eine mindestens notwendige Anzahl Abstimmungsteilnehmer, gibt es bei diesem Referendum nicht.

Im Zentrum der Reform steht eine Überholung des Parlamentsbetriebs. Der besteht bislang aus zwei gleich mächtigen Kammern mit den genau gleichen Befugnissen: Die Abgeordnetenkammer (630 Mitglieder) und der Senat (320) folgen dem Prinzip des "Bicameralismo perfetto", des totalen Zweikammersystems, wie es das in Europa nur in Italien gibt. Beide verleihen oder entziehen der Regierung das Vertrauen; beide stimmen über alle Gesetzesvorlagen gleichberechtigt ab. Gebilligt ist ein Gesetz erst, wenn es in absolut identischer Formulierung verabschiedet worden ist. Notfalls wandert es dafür mehrmals von einer Kammer zur anderen. Im Volksmund ist der Mechanismus auch als "Pingpong" bekannt.

Kommt Renzis Reform durch, würde das Hin-und-Her abgeschafft. Die Kompetenzen des Senats würden eingeschränkt. Vor allem stünde es ihm nicht mehr zu, über das Schicksal einer Regierung zu befinden. Über künftige Abänderungen der Verfassung würde er aber weiter mitbestimmen, auch über europäische Verträge. Hauptsächlich soll er sich aber als Vertretung der Regionen verstehen.

Renzis Gegner wollen ihn stürzen sehen

Kleiner würde der Senat auch: Von den 320 Sitzen blieben noch 100 übrig. Besetzt würden sie von 74 Regionalräten, 21 Bürgermeistern aus größeren Städten und von 5 Senatoren, die der Präsident der Republik für eine einzige Amtszeit nominieren dürfte. Gewählt würden die Mitglieder des Senats nicht in einer direkten nationalen Wahl wie bisher, sondern sie würden entsandt von den Regionen.

Noch ist unklar, ob die Wähler bei den Regionalwahlen dereinst bestimmen dürften, welche Kandidaten sie auch noch in den Senat nach Rom entsenden möchten: Die Frage müsste mit einem neuen Gesetz geregelt werden, sollte die Reform durchkommen. Die neuen Senatoren würden für ihr zusätzliches Mandat nicht zusätzlich entlohnt. Die Befürworter argumentieren, die Reform verschlanke den oftmals langsamen Prozess bei der Gesetzgebung. Außerdem könnten Personal und Kosten "im größten Parlament des Westens" eingespart werden.

Die Gegner teilen sich in drei Lager. Gemein ist ihnen nur, dass sie Renzi stürzen sehen wollen. Das erste Lager beteuert, es hätte den Senat lieber ganz abgeschafft. Das zweite moniert, es werde ein Kompetenzgerangel geben zwischen den beiden Kammern, weil die Reform chaotisch geschrieben sei. Das dritte Lager hält es für unzulässig, die alte Verfassung zu revidieren, weil sie im Antifaschismus geboren wurde. Es warnt vor einer allzu markanten Stärkung der Exekutive, die auch vom neuen, bisher noch nie angewandten Wahlgesetz, dem "Italicum" mit seiner Sitzprämie für den Wahlsieger, profitieren würde.

Die Befugnisse des Premiers würden sich nach der Reform nicht verändern. Künftig könnte die Regierung aber das Parlament auffordern, dringende Geschäfte auch dringend zu behandeln: Bei "essentiellen" Gesetzen soll die Abgeordnetenkammer fünf Tage Zeit bekommen, um die Vorlage auf die Agenda zu nehmen, und siebzig Tage, um abzustimmen. Die Frist könnte einmal um 15 Tage verlängert werden.

Das sind die Kernpunkte von Renzis Reform. Überdies soll das Verhältnis zwischen dem Zentralstaat und den zwanzig Regionalverwaltungen neu definiert werden, um die Folgen einer missglückten Dezentralisierung von 2001 zu korrigieren. Minimal verändert würde auch der Modus für die Wahl des Staatspräsidenten und der Mitglieder des Verfassungsgerichts.

Abgeschafft würde eine Verwaltungsebene, nämlich jene der Provinzen. Abgeschafft würde auch eine alte Behörde, der Consiglio Nazionale dell' Economia e del Lavoro, kurz CNEL, über deren Nützlichkeit sich die Italiener schon immer wunderten. Geplant war, dass der CNEL Regierung und Parlament in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten juristisch berät. Seit seinem Bestehen kostete er eine Milliarde Euro, ohne je gedient zu haben.

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