Es war nur eine kurze Passage in einer längeren Rede, eigentlich nur ein Satz - und schon tobt in Italien eine politische Debatte, die noch heftiger ist als das, was man aus vielen anderen politischen Debatten hier gewohnt ist. "Wir dürfen uns mit dem Thema des ethnischen Austauschs nicht abfinden: Italiener haben weniger Kinder, also ersetzen wir sie durch jemand anderen. Das ist nicht der Weg." Das sagte Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida auf dem Kongress der Gewerkschaft Cisal, die als einzige Arbeitnehmer-Organisation eher rechts steht.
Der Minister der Regierungspartei Fratelli d'Italia hatte sich mit der Demografie beschäftigt, einem für Italien offensichtlichen und durch neue statistische Zahlen kürzlich wieder ins allgemeine Bewusstsein gekommenen Problem: Die Geburtenrate in dem früher kinderfreundlichen Land schrumpft dramatisch, sie liegt mit 1,24 weit unter dem Wert von 2,1, der notwendig wäre, um die Bevölkerungszahl wenigstens stabil zu halten.
Italien hat bereits weniger als 59 Millionen Einwohner und könnte bis 2060 auf 37 Millionen schrumpfen. Das hat dramatische Folgen für die Wirtschaftskraft des Landes, für die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme und die ganze Statik des Landes, das immer noch zu den G7 zählt, den wichtigsten westlichen Wirtschaftsnationen.
Er wetterte gegen illegale Einwanderer
Die stark rechts orientierte Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die Familienwerte immer betont, treibt das natürlich um, sie hat versprochen gegenzusteuern, aber bisher außer einer Erhöhung des Kindergeldes wenig bewirkt. Jetzt wird über Steuererleichterungen für die Mittelschicht, Zuschüsse für junge Familien und Maßnahmen zur besseren Vereinbarung von Beruf und Familie diskutiert.
Auch darüber hat Lollobrigida beim Gewerkschaftskongress gesprochen, und er hat eine weitere Möglichkeit, mehr Arbeitskräfte zu gewinnen, durchaus erwähnt: die Migration. "Ich bin der Enkel eines Auswanderers, deshalb achte ich darauf, nicht zu denken, dass Auswanderung und damit Einwanderung ein Problem sind. Im Gegenteil, das ist eine Wachstumschance."
Zwischenzeitlich hatte er von 500 000 Migranten gesprochen, die man legal ins Land holen wolle. Aber er wetterte zugleich gegen die illegalen Einwanderer und nahm dann eben auch das Wort vom Bevölkerungsaustausch ("sostituzione etnica") in den Mund. Das ist eine klare Anleihe bei der faschistischen Rassenlehre und wird von rechtsextremen Verschwörungsanhängern benutzt, die die "weiße Rasse" existenziell durch Einwanderer bedroht sehen.
Man muss nun wissen, dass der in der Regierung einflussreiche Minister Lollobrigida, ein Verwandter der verstorbenen Schauspiel-Ikone Gina Lollobrigida, der Schwager seiner Partei- und Regierungschefin Giorgia Meloni ist. Beide sind ihren Weg vom politischen Außenseitertum an die Macht zusammen gegangen, haben in der heimischen Küche der Familie ihre Strategien diskutiert und sind enge Vertraute. Auch Meloni hat früher als Oppositionspolitikerin so geredet, als Regierungschefin hält sie sich zurück. Das belebt die Diskussion, ob die Regierungspolitikerin Meloni sich gewandelt hat oder sich in den Anfangsmonaten ihrer Regierungszeit einfach nur verstellt.
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Die Opposition jedenfalls ist empört, offensichtlich weit über das übliche taktische Maß hinaus, die römische Zeitung La Repubblica spricht vom "Lollobrigida-Schock". Selbst der frühere Regierungschef und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi äußert sich besorgt: "Wir sind auf einem brutalen Niveau," sagte er am Rande einer öffentlichen Veranstaltung. Deutlicher wurde Elly Schlein, als Sekretärin des sozialdemokratischen PD die wichtigste Oppositionspolitikerin: "Die Worte von Minister Lollobrigida sind widerlich, sie sind inakzeptabel. Sie führen uns zurück in die 1930er-Jahre. Es sind Worte, die den Beigeschmack weißer Vorherrschaft haben."
Die Debatte findet vor dem Hintergrund der Pläne der Regierung statt, angesichts der stark steigenden Zahl von Menschen, die über das Mittelmeer nach Italien fliehen, härtere Vorschriften gegen die illegale Einwanderung zu beschließen. So soll der besondere Schutz ("protezione speciale") abgeschafft werden, den der vorherige Premier Mario Draghi eingeführt hat und der nicht anerkannte Asylbewerber schützt, deren Abschiebung ins Heimatland für sie zu riskant wäre; in Deutschland spricht man annähernd vergleichbar von einer "Duldung".