Italien in der Krise:Berlusconi klammert sich ans Amt

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Wie eng Italiens Misere mit Silvio Berlusconi zusammenhängt, zeigte sich, als nach Gerüchten über seinen Rücktritt kurzzeitig die Aktienkurse stiegen. Doch der Premier sieht seinen Posten nicht bedroht, obwohl ihm die Abgeordneten davonlaufen. Viele spielen bereits Szenarien für die Zeit nach Berlusconi durch.

Andrea Bachstein, Rom

Nur Stunden, gar Minuten seien es noch, bis Ministerpräsident Silvio Berlusconi zurücktritt, schwirrte am Montag schon durch Rom. Der Premier hat das sehr prompt dementiert: Er verstehe gar nicht, worauf solche Gerüchte beruhen, sagte er. Doch die Anspannung in Italien bleibt auf Spitzenpegel, denn das Ende der Ära Berlusconi scheint zum Greifen nah zu sein. Eine Abstimmung im Abgeordnetenhaus könnte an diesem Dienstag sein Schicksal entscheiden. "Die Mehrheit existiert nicht mehr", lautet das Urteil des Innenministers Roberto Maroni von der Lega Nord. Alle Verbissenheit sei deshalb sinnlos. "Ich habe die nötige Stimmenzahl", behauptet dagegen Berlusconi. Wo wie viele Abgeordnete wirklich stehen, versuchten am Montag alle Parteien von links bis rechts hektisch herauszufinden.

Dem Premier laufen die Abgeordneten davon. 20 sind es nach letzten Erkennt- nissen, die seine PDL verlassen haben oder seine Ablösung wollen. Dass der zum lächerlichen Mann Europas gewordene, konzeptlose Premier Italien nicht durch die Schuldenkrise führen kann, dieser Einsicht kann sich auch das Regierungslager kaum noch entziehen. Und ebenso wenig der Bestätigung dafür, wie eng Italiens kritische Lage mit Berlusconis Person zusammenhängt: Das Rücktrittsgerücht hat am Montag kurzzeitig die Aktienkurse steigen lassen. Das auch auf Facebook verbreitete Dementi bremste sie sogleich wieder. Die Reaktion der Börsen passt zu dem, was Wirtschaftsexperten sagen, und auch Italiens Finanzminister weiß: Der Druck auf italienische Staatstitel würde ohne Berlusconi sofort sinken.

Offenbar hält nun auch seine engste Umgebung in der Regierung sein schnelles Aus für wahrscheinlich. Das verrät eine Äußerung des Kabinettsministers: "Auch wenn er stürzt, bleibt die Regierung bei ihren Aufgaben", sagte Gianni Letta am Montag, der selbst als Ersatzpremier gehandelt wird. Exponenten seiner Partei drängen den Premier auch öffentlich, selbst die Reißleine zu ziehen. Doch noch vor der Abstimmung am Dienstag aufzugeben, hat Berlusconi praktisch ausgeschlossen: "Ich will denen ins Gesicht schauen, die mich verraten", teilte er pathetisch mit. Deshalb plant er, selbst zu den Abgeordneten zu sprechen.

Und es kann durchaus noch einmal alles glattgehen für ihn. Denn auch Abgeordnete, die von der PDL in andere Fraktionen gewechselt sind, wollen den ansonsten politisch bedeutungslosen Rechenschaftsbericht für das Jahr 2010 passieren lassen. Um ihnen doch eine Enthaltung zu erleichtern, erwägen die Oppositionsparteien den Boykott der Abstimmung. Würde so das Quorum nicht erreicht, wäre auch klar, dass die Regierungskoalition ohne Mehrheit ist. Überlebt sie den Dienstag, stehen ihr in den kommenden Wochen die wirklich entscheidenden Vertrauensabstimmungen über die Sparprogramme bevor. Und möglicherweise stellt zuvor noch die sozialdemokratische PD die Misstrauensfrage.

Sympathien für eine "technische Regierung"

Die Lage ist auch so aufgeheizt und voller Spekulationen, weil sich unterschiedliche Szenarien auftun - mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit. Stürzt oder weicht Berlusconi, kann die Koalition versuchen, mit einem anderen Premier wieder die Mehrheit im Parlament zu erlangen. Die christdemokratischen Oppositionsparteien geben unterschiedliche Signale, ob sie dann beispielsweise Gianni Letta stützen würden.

Unter den Oppositionsparteien scheint aber inzwischen der Weg einer "technischen Regierung" immer mehr Sympathien zu vereinen: Eine Übergangsregierung unter einem Fachmann, der nicht aus der Politik kommt und sich nicht um seine Wiederwahl sorgen müsste. Sie könnte dann die von der EU verlangten Wirtschaftsreformen auf den Weg bringen und auch ein neues Wahlgesetz. Der größte Charme dieser Lösung ist, dass dafür der international angesehene, frühere EU-Kommissar Mario Monti als Kandidat gilt.

Der technischen Regierung verwandt wäre eine Regierung der nationalen Einheit - ebenfalls getragen von links bis rechts, aber mit einem Politiker aus dem Parlament an der Spitze. Als anderer Ausweg blieben nur noch vorzeitige Wahlen Anfang nächsten Jahres. Diese Lösung würde vor allem Berlusconis Partner Lega Nord weit besser gefallen als eine technische Regierung oder eine erweiterte Koalition.

Wie es im Falle des Scheiterns von Berlusconi weitergeht, muss der Präsident bestimmen. Giulio Napolitano will wegen des Machtvakuums, das während eines Wahlkampfs droht, Neuwahlen vorläufig vermeiden. Angeblich hält auch er angesichts der Finanzkrise eine Expertenregierung für den besten Weg.

© SZ vom 08.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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