Drei Stunden Drama, von Anfang bis Ende live gestreamt. Wer mochte, konnte den Spitzenleuten des Partito Democratico dabei zuschauen und zuhören, wie sie sich zerrissen, sich in Rage redeten, wie ihre Stimmen dabei vibrierten und auch mal brachen. Italiens sozialdemokratische Regierungspartei ließ zu, dass das Volk jede Regung ihres internen Nervenkriegs miterlebte. Jemand filmte, alle großen Zeitungen übertrugen online. Am längsten redete natürlich der Chef, Premier Matteo Renzi, der auch Generalsekretär der Partei ist. 32 Minuten lang, ohne die Jacke auszuziehen, den obersten Hemdknopf zu öffnen, die Ärmel hochzukrempeln, wie er es sonst gerne tut, wenn er vor seine Partei tritt.
Es sind keine sehr entspannten Zeiten für Renzi - vielleicht sind bereits die letzten zwei Monate angebrochen, in denen der Premierminister die Macht noch in den Händen hält.
Am 4. Dezember werden die Italiener in einem Referendum über seine Verfassungsreform abstimmen. Es handelt sich dabei um die größte Neugestaltung der republikanischen Institutionen seit fast siebzig Jahren.
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Die Reform polarisiert das Land, nicht einmal innerhalb Renzis politischer Familie folgen ihm alle. Der linke Parteiflügel, die so genannte Sinistra Dem, steht kurz davor, auch offiziell in die Parole für das "No" einzustimmen und womöglich sogar Kampagne gegen die Reform zu machen - so wie es die gesamte Opposition tut, von ganz links bis ganz rechts. Alle gegen die Regierung, gegen Renzi. Seit der Premier sein persönliches politisches Schicksal mit dem Ausgang der Abstimmung verknüpft hat, gibt es eine breite, ideologisch völlig disparate und unheilige Allianz, um ihn zu Fall zu bringen.
Alte Parteikader fühlen sich wie "Schrott" behandelt
Die Parteidissidenten, zu denen etliche verflossene Größen der italienischen Linken gehören, führen zwar inhaltliche Gründe an, um ihre Haltung zu rechtfertigen. Doch mindestens ebenso wichtig sind die persönlichen Animositäten. Es drängt sie die Lust auf eine Revanche gegen den jungen Premier, der einst angetreten war, um die alte Garde zu "verschrotten", wie er es nannte. Und genau so fühlen sich Massimo D'Alema, der frühere Premierminister, und Pier Luigi Bersani, der ehemalige Parteisekretär, seit zweieinhalb Jahren - behandelt wie altes Eisen. "Man spuckt auf uns und unsere Geschichte", sagte Bersani dieser Tage dem Corriere della Sera, "alles hat seine Grenzen. Ich werde wie Schrott behandelt."
In diesem Klima mutet eine Versöhnung unwahrscheinlich an, zumal die beiden Lager auch in einer zentralen, inhaltlichen Frage gespalten sind. Renzis Kritiker finden, die Reform der Verfassung stärke die Exekutive übermäßig - vor allem in Kombination mit dem neuen Wahlrecht, das dem Wahlsieger einen Prämienzuschuss gewährt. Zwar billigten sie die Reform zunächst geschlossen, nun warnen sie aber davor, dass diese Machtkonzentration künftige Wahlsieger verleiten könne, das Land autoritär zu regieren. Bemüht werden Vergleiche mit früheren und aktuellen Diktaturen. Renzi hält die Sorge für unbegründet. Italien, argumentiert er, sei auch deshalb zurückgeblieben, weil das politische System mit seinen zwei genau gleich starken Parlamentskammern im ständigen Pingpong bisher alle Modernisierung gebremst habe. Bei seinen Auftritten wiederholt er auch gern, dass das Land in 70 Jahren von 63 verschiedenen Kabinetten regiert worden sei - "la palude", nennt er das, den großen Sumpf.
Dennoch bot er den Dissidenten nun an, noch einmal über das Wahlgesetz, das sogenannte Italicum, zu diskutieren. Und zwar in allen Punkten, wie er trotzig präzisierte, als wollte er seinen Kritikern das Motiv ihrer Kritik wegnehmen. Er hält es für ein Alibi. Nun soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, in der man sich gebührend austauscht und über Änderungen verhandelt. Doch überzeugen konnte Renzi die Dissidenten mit seinem Zugeständnis nicht - wie sollte er auch? Er sagte nämlich, auf die Agenda komme eine allfällige Änderung des "Italicum" erst nach dem Referendum, nach geschlagener Schlacht also. Und dann ist entweder Renzi nicht mehr im Amt, weil er die Abstimmung verloren hat. Oder er hat gewonnen, und in diesem Fall, so mutmaßen seine Gegner, würde die versprochene Revision des Wahlgesetzes im Triumphgetöse untergehen.
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In den kommenden Tagen und Wochen werden die Italiener nun aber wohl oft von dieser Kommission reden hören, die das "Italicum" neu denken soll. Allzu große Illusionen dürften sie sich aber nicht machen: Das Instrument der "Commissione", so lehrt es die jüngere Geschichte des Landes, diente den italienischen Politikern oftmals dafür, Geschäfte aufzuschieben und Zeit zu gewinnen. Gerade wenn die Aussicht auf eine Einigung besonders gering war, spielte jeweils die Taktik eine wichtige Rolle. Es sind letzte Geplänkel vor der großen Abrechnung.
Nach dem 4. Dezember wird der Partito Democratico wohl anders aussehen als bisher. Seine beiden Flügel - die christlichsoziale (Renzi) und die postkommunistische (D'Alema) - passten noch nie wirklich gut zusammen. Renzi arbeitet schon lange daran, die Partei ins Zentrum zu rücken, wo er viele ehemalige Wähler der früheren Democrazia Cristiana wähnt, die in den vergangenen zwanzig Jahren für Silvio Berlusconis Forza Italia stimmten und seit dessen politischer Dämmerung nach einer neuen Heimat suchen. Die Rede ist von einem "Partito della Nazione", einer großen Mittepartei, einer Volkspartei jenseits alter Schemen. Renzi spricht nie davon, doch seine Absichten sind klar. Für das Verfassungsreferendum hofft er auf viele Stimmen von der Rechten.
Vierzig Prozent der Italiener sind noch unentschlossen
Er braucht sie, um zu gewinnen. Er räumt das auch offen ein, und das stört seine Kritiker innerhalb der Partei zusätzlich. In der Tradition der alten Linken gehört es sich nicht, auf die Rechte zu hoffen - selbst dann nicht, wenn deren Stimmen einem eigenen Geschäft dienen. Renzi rechnet da pragmatischer, postideologisch.
In den meisten Umfragen hat das "Nein" das "Ja" mittlerweile überholt. Knapp zwar, aber dennoch deutlich genug, um Nervosität in der Entourage des Premiers zu schüren. Noch immer sagen vierzig Prozent der Italiener, sie hätten sich noch nicht definitiv entschieden, sie wollten sich die Argumente beider Lager anhören. Das ist Renzis Chance. Er tourt durch das Land und durch die Fernsehstudios. Besänftigt Besorgte, geißelt angebliche Bremser, wirbt für Wandel und Moderne. Und natürlich für sich selbst.