Ein Jahr ist es her, dass Militärtransporter, ein langer Konvoi, durch das nächtliche Bergamo fuhren, um die Leichen abzuholen, für die der Friedhof der Stadt keinen Platz mehr hatte. An jenem Tag, dem 18. März 2020, mit jenen Bildern der Lastwagen in Tarnfarben, war die Tragödie der Pandemie für viele zum ersten Mal richtig fassbar geworden, in ihrer ganzen Tragweite. Und so fand das italienische Parlament einstimmig, es passe, wenn man fortan jedes Jahr am 18. März den "Gedenktag für die Opfer der Pandemie des Coronavirus" begeht.
Im gesamten Land, aber mit Bergamo im Herzen, der Symbolstadt der ersten Welle, der "Stadt des Martyriums", dem "Wuhan Europas". So wird sie genannt, weil sie so früh und so dramatisch getroffen wurde vom Virus.
Italiens Premier Mario Draghi hat nun in Bergamo der mehr als 103 000 italienischen Opfer gedacht und dann einen Lindenbaum aus Apulien gepflanzt. Nord und Süd vereint. Es war der erste von 850 Bäumen, die im "Bosco della memoria", dem Wald des Erinnerns, vor dem großen Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. stehen sollen. Man habe sich auch Gedanken gemacht über ein Monument oder eine Statue, sagte Giorgio Gori, Bergamos Bürgermeister. Doch dann habe man sich für ein lebendiges Werk entschieden, für ein atmendes Denkmal. Im Park sollen Kinder und Familien spielen können, es soll dort auch ökologische Initiativen geben. Alles mit der Zukunft im Sinn.
"Wir können uns nicht umarmen", sagte Mario Draghi in seiner Rede. "Aber das ist der Tag, an dem wir uns noch vereinter fühlen müssen." Die Bergamasken hätten Schreckliches erlebt. Es sei in jenen Tagen vor einem Jahr nicht einmal Zeit gewesen, die Lieben zu beweinen, sich von ihnen zu verabschieden, ihnen das letzte Geleit zu geben. "Dieser Ort hier ist ein Symbol des Schmerzes einer ganzen Nation." Aber es sei auch der Ort für ein feierliches Versprechen: "Wir sind hier, um unseren Betagten zu sagen: Es wird nie mehr vorkommen, dass den Zerbrechlichsten nicht mehr genügend geholfen wird, dass sie nicht geschützt sind."
Offiziell starben hier bislang 6000 Menschen an der Seuche
Bergamo und seine Provinz verloren seit Beginn der Pandemie mehr als 6000 Menschen an die Seuche, zumindest nach den offiziellen Zahlen. Wahrscheinlich aber waren es sehr viele mehr, vielleicht doppelt so viele. Zu Beginn, als es noch nicht genügend Testkits gab und man auch noch nicht nach dem Virus suchte, starben viele, ohne dass man sich je gewahr werden sollte, dass sie an Covid-19 gelitten hatten. Im März 2020 lag die Sterblichkeit in der Provinz 568 Prozent über dem Mittelwert der fünf vorherigen Jahre. Kein Bergamaske, sagte Gori, sei von der Trauer verschont geblieben, jeder habe einen Bruder, eine Großmutter, einen Freund verloren.
Der Staatssender Rai Uno, der den Gedenkakt live übertrug, damit wenigstens viele am Fernsehen dabei sein konnten, erinnerte bei der Gelegenheit, dass damals nicht alles gut gelaufen sei. Die Staatsanwaltschaft von Bergamo ermittelt in der Frage, warum im Februar 2020, als im Hospital von Alzano Lombardo die ersten Fälle nachgewiesen worden waren, nicht sofort eine rote Zone eingerichtet wurde, warum die lombardische Regionsverwaltung also die Provinz nicht isoliert hat. Stattdessen beteuerten die örtlichen und regionalen Behörden noch eine ganze Weile, die Wirtschaft laufe weiter, die Kunden bräuchten sich keine Sorgen zu machen. Im Hinterland von Bergamo gibt es viele Industriebetriebe, die in alle Welt exportieren.
Ein Jahr ist es her, und noch immer ist die Pandemie nicht unter Kontrolle. Jeden Tag kommen in Italien mehr als 20 000 neue Infektionen und Hunderte Tote dazu. Die Regierung, sagte Draghi, setze alles daran, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen zu impfen. Das sei die absolute Priorität, darum ringe er auch mit den Pharmaunternehmen. "Wir sind es den vielen Opfern schuldig, dass wir uns stärken und die Welt wieder so aufbauen, wie sie sie erträumt hatten, für ihre Kinder und für ihre Enkel."