Italien:Dutzende Tote

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Polizisten am Strand von Steccato di Cutro, an den die Leichen der Verunglückten geschwemmt wurden. (Foto: IMAGO/Italy Photo Press)

Es fliehen wieder mehr Menschen über das Meer nach Italien. Vor der Küste von Steccato di Cutro in Kalabrien ist nun eines der Boote gekentert.

Von Oliver Meiler, Rom

Vor der Küste von Steccato di Cutro, einem Ort in Kalabrien, ist ein Flüchtlingsboot gekentert. Die See war sehr bewegt, die Wellen waren hoch, wie das im Winter oft der Fall ist. Das Boot mit Migranten aus dem Iran, aus Afghanistan und Pakistan zerbarst offenbar an Felsen kurz vor dem Ziel. 80 Menschen konnten gerettet werden, von denen 20 ins Krankenhaus gebracht worden seien, wie eine Vertreterin der Provinzregierung der Nachrichtenagentur Reuters sagte. Unklar war zunächst, wie viele Flüchtlinge diesmal umgekommen sein könnten auf der gefährlichen Route durch das Mittelmeer. Überlebende berichteten davon, dass sie zu Beginn der Reise 250 gewesen waren, andere sprachen von 180. Abgelegt hatten sie in der Türkei. Bis Sonntagmittag barg die italienische Küstenwache 59 Leichen, das Meer hatte sie an die Strände geschwemmt. Es waren viele Kinder dabei, auch ein Neugeborenes.

"Kalabrien ist in Trauer wegen dieser schrecklichen Tragödie", schrieb Roberto Occhiuto, der kalabrische Regionspräsident von Silvio Berlusconis rechtsbürgerlichen Partei Forza Italia, in einem Communiqué und fügte an: "Wo ist Europa?"

Die Überfahrten nach Italien haben in jüngerer Vergangenheit wieder zugenommen - und dies trotz schwieriger Witterung. Am meisten Menschen kommen nach wie vor aus Libyen und Tunesien, sie entfliehen den politischen Wirren in den nordafrikanischen Ländern. 85 bis 90 Prozent der Migranten, die es nach Italien schaffen, schaffen es an Bord ihrer eigenen Boote oder werden von Frachtern, der italienischen Marine oder der italienischen Küstenwache aus Seenot gerettet und in Sicherheit gebracht. Der Rest, also etwa 10 bis 15 Prozent, werden von Nichtregierungsorganisationen transportiert.

Dennoch konzentriert sich die italienische Rechtsregierung in ihrem Kampf gegen das, was sie "illegale Einwanderung" nennt, fast ausschließlich auf diese NGOs. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli d'Italia sagte erst neulich wieder: "Das ist mehr ein Fährdienst als ein Rettungsdienst." Früher war der Begriff der angeblichen "Taxis der Meere" beliebt. Der Sinn aber ist derselbe: Italiens Rechte wirft den NGOs ohne jedes Indiz vor, sie wären Komplizen nordafrikanischer Schlepperbanden - die Politik behindert deshalb die Arbeit der Aktivisten mit offener Absicht.

Das neue Gesetzesdekret über Italiens Umgang mit den Seenotrettern, das erst vor Kurzem definitiv vom römischen Parlament genehmigt worden ist, verbietet es den Organisationen unter anderem, mehr als eine Rettungsoperation pro Mission durchzuführen. Wenn sie also mal Menschen gerettet haben, müssen sie in Rom nach einem sicheren Hafen fragen und diesen umgehend ansteuern. Auf dem Weg dorthin dürfen sie keine neuen Migranten aufnehmen, auch wenn sie welche in Seenot antreffen.

Verstoßen sie gegen diese Norm, werden sie mit Geldbußen von 10 000 bis 50 000 Euro bestraft, ihr Schiff wird für einige Zeit festgesetzt. Das passierte nun zum ersten Mal der Geo Barents von "Ärzte ohne Grenzen". Die hatte vor Libyen zunächst 69 Migranten in Seenot gerettet und auf ihrem Weg nach La Spezia weitere 168 an Bord genommen. Die Crew wurde mit einer Geldstrafe von 10 000 Euro belegt, die Geo Barents für 20 Tage im sizilianischen Hafen von Augusta festgesetzt. "Es ist nicht akzeptabel, dass wir für das Retten von Menschenleben bestraft werden", richteten Ärzte ohne Grenzen aus.

Auch die Zuweisung von La Spezia im nördlichen Ligurien als sicherer Hafen gehört zur neuen Strategie der italienischen Regierung und ihres Innenministers Matteo Piantedosi in ihrem Messen mit den NGOs. Damit deren Schiffe möglichst oft nicht vor Libyen kreuzen können, werden sie statt zu sizilianischen, apulischen oder kalabrischen Häfen in den Norden geschickt: nach La Spezia oder Carrara an der tyrrhenischen Küste zum Beispiel oder nach Ancona und Ravenna im oberen Teil der adriatischen Küste. So sind sie jeweils tagelang unterwegs, um die Migranten in Sicherheit zu bringen - auf unnötigen Umwegen.

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