Israel:Streit um die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem

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Benjamin Netanjahu, Israels Premierminister, bezeichnet jede politische Einflussnahme auf Yad Vashem als "fake news". (Foto: Ronen Zvulun/dpa)

Israels rechte Regierung will Berichten zufolge aus politischen Gründen den Yad-Vashem-Vorsitzenden Dani Dayan ablösen - und provoziert damit einen Proteststurm.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Vorige Woche bekam Dani Dayan, der Vorsitzende der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, einen geharnischten Brief von Israels Bildungsminister Joav Kisch. Vorgeworfen wurde ihm darin Missmanagement bei der Führung der international bedeutsamen Einrichtung - und der Ton des Schreibens ließ schnell den Verdacht aufkommen, dass Israels rechte Regierung nicht nur die Justiz, sondern nun auch noch andere Institutionen politisieren und auf Linie bringen will. Auch im Fall von Yad Vashem regt sich dagegen nun heftiger Widerstand, in Israel selbst und auch international.

An die Öffentlichkeit gelangte der Konflikt zwischen Regierung und Gedenkstätten-Chef durch einen Bericht des Fernsehsenders Channel 12. Dort wurde nicht nur der Brief des für Yad Vashem zuständigen Ministers Kisch enthüllt, sondern es wurde bereits der Name einer Politikerin aus der regierenden Likud-Partei als mögliche Nachfolgerin genannt. Als Hintergrund des Zerwürfnisses wurde ganz allgemein Dayans Eigenständigkeit angeführt - und dazu noch ein ganz spezieller Grund: Sara Netanjahu, die einflussreiche Gattin des Premierministers, soll den Stab über Dayan gebrochen haben. Sie soll erbost darüber gewesen sein, dass bei der staatlichen Zeremonie zum Holocaust-Gedenktag in Yad Vashem in diesem Frühjahr die Sängerin Keren Peles aufgetreten war, die zuvor auch auf Demonstrationen gegen den von der Regierung geplanten Justizumbau gesungen hatte.

Dayan weist die Missmanagement-Vorwürfe des Ministers Kisch energisch zurück

Ein Sprecher von Yad Vashem wollte die Vorgänge auf SZ-Anfrage "im Moment nicht kommentieren". Doch ringsherum hat der Konflikt bereits reichlich Wellen geschlagen. Oppositionsführer Jair Lapid nannte die Angriffe auf Dayan einen "weiteren Tiefpunkt" der aktuellen Regierungspolitik. Rückendeckung für Dayan kam aus Washington, wo die US-Sonderbotschafterin für Holocaust-Fragen, Ellen Germain, explizit seine Arbeit lobte und die "Wahrung der Unabhängigkeit" von Yad Vashem anmahnte. Ähnlich klang es in Brüssel, wo Katharina von Schnurbein, die Antisemitismus-Beauftragte der EU-Kommission, vor dem Versuch warnte, "das Gedenken an die Shoah zu politisieren".

Zudem veröffentlichten mehr als 120 Holocaust-Experten aus der ganzen Welt gemeinsam einen offenen Brief, in dem sie Israels Regierung aufforderten, Dayan weiter ungehindert seine Arbeit machen zu lassen. "Jeder Versuch, politische Kontrolle über Yad Vashem zu erlangen, stellt eine klare Bedrohung dar für die Erinnerung an die sechs Millionen Opfer der Shoah", hieß es.

Dayan selbst hat die Missmanagement-Vorwürfe des Ministers Kisch energisch zurückgewiesen. Sie seien "teilweise unbegründet, teilweise wahnhaft, teilweise falsch". Überrascht von den Angriffen dürfte er jedoch nicht sein, schließlich war seine Ernennung durch die Vorgängerregierung erfolgt. Netanjahu war zuvor damit gescheitert, einen eigenen Kandidaten durchzubringen. Sein Favorit Ephraim Eitam, ein rechts-religiöser General und Ex-Minister, hatte wegen früherer rassistischer Äußerungen einen Proteststurm ausgelöst.

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Allerdings galt auch Dayan in früheren Zeiten als rechter Ideologe. Jahrelang hatte er den Jescha-Rat, die Dachorganisation der Siedler, geführt, bevor ihn Netanjahu als Generalkonsul nach New York entsandte. Nach der Rückkehr schloss er sich jedoch der Partei des Netanjahu-Rivalen Gideon Saar an, der schließlich im Sommer 2021 auch seine Ernennung zum Yad-Vashem-Vorsitzenden vorantrieb.

Die heftigen Proteste gegen die Angriffe auf Dayan scheinen Israels Regierung nun fürs Erste in die Defensive gedrängt zu haben. Vor einem Abflug zu Regierungsgesprächen ihres Mannes in Zypern beeilte sich Sara Netanjahu noch auf dem Rollfeld zu erklären, dass sie keinerlei Einfluss in dieser Sache ausgeübt habe. Neben ihr stand Benjamin Netanjahu, der jede politische Einflussnahme auf Yad Vashem als "fake news" abtat. Zur Frage, ob seine Regierung weiter die Ablösung Dayans betreiben wolle, hüllte er sich in Schweigen.

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