Israel:Rissige Verbindung

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Antisemitische Propaganda zur Rechtfertigung des Angriffskrieges gegen die Ukraine: der russische Außenminister Sergej Lawrow. (Foto: Alexander Shcherbak/IMAGO/ITAR-TASS)

Jerusalem sagt, Putin habe sich entschuldigt für antisemitische Ausfälle seines Außenministers. Moskau bestätigt das nicht. Israels Linie der Zurückhaltung zum russischen Krieg gegen die Ukraine wankt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Wollen sie nun wieder Freunde sein? Zwischen Israel und Russland hatte es heftig gefunkt in dieser Woche, nachdem sich der russische Außenminister Sergej Lawrow eine derbe antisemitische Entgleisung geleistet hatte. Doch nun verkündet das Büro von Ministerpräsident Naftali Bennett die Entspannung: Putin habe sich bei einem Telefonat für Lawrows Äußerungen entschuldigt, heißt es in einer offiziellen Erklärung aus Jerusalem. "Der Premierminister hat das akzeptiert und Putin für die Klarstellung seiner Sicht auf das jüdische Volk und die Erinnerung an den Holocaust gedankt."

Diese Nachricht kann jedoch nicht verdecken, dass das Verhältnis der beiden Länder in höchst komplizierte Gefilde geraten ist - zumal auf russischer Seite nach dem Telefonat eine Entschuldigung Putins nicht erwähnt wurde. Dort hieß es lediglich, man habe über "historische Erinnerung" gesprochen sowie über die aktuelle Lage in der Ukraine. Putin sagt Pardon? So etwas hat man in Moskau wohl noch nie gehört.

In jedem Fall haben Lawrows Ausfälle ans Licht gebracht, dass die Risse zwischen den beiden Ländern tiefer werden, je länger der Krieg dauert. Erschien es der Regierung in Jerusalem am Anfang noch geboten, die Moskauer Propaganda von einer "Entnazifizierung" der Ukraine weitgehend zu ignorieren, so hat Lawrow dann den Bogen weit überspannt mit seiner Behauptung, Hitler habe wie der ukrainische Präsident Wolodimir Selensky "jüdisches Blut" gehabt, und überhaupt seien "die größten Antisemiten oft selber Juden".

Der Premier musste aus der Deckung und den Russen der Lüge zeihen

Da musste nicht nur Außenminister Jair Lapid einschreiten, der den russischen Botschafter einbestellte und eine offizielle Entschuldigung aus Moskau forderte. Auch Premier Bennett sah sich gezwungen, aus der Deckung zu kommen, Lawrow der "Lüge" zu bezichtigen und ein Ende der Instrumentalisierung von Nazizeit und Holocaust zu fordern. Ins Wanken geriet damit jene von Beginn an heikel justierte Position Israels zu diesem Krieg der anderen. Die Haltung war: Zurückhaltung.

Eine klitzekleine Kippa und ein Lächeln, das an Louis de Funès erinnert: Israels Ex-Premier Naftali Bennett. (Foto: Menahem Kahana/AP)

So hat sich Israel, der engste Verbündete der USA, bislang weder den Sanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen, noch wie andere westliche Partner Waffen in die Ukraine geliefert. Dahinter steckt strategisches Kalkül. Die Russen sollen nicht verprellt werden, weil man die eigene Handlungsfreiheit im benachbarten Syrien nicht gefährden will. Dort kontrollieren russische Truppen den Luftraum - und tolerieren, dass Israel regelmäßig iranische Stellungen auf syrischen Boden bombardiert.

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Für diesen geopolitischen Balanceakt haben sich die Protagonisten der israelischen Regierung, Premier Bennett und Außenminister Lapid, früh auf eine Arbeitsteilung geeinigt. Lapid bläst rhetorisch ins gleiche Horn wie die westlichen Partner, verurteilt Russlands Angriffskrieg und spricht von "Kriegsverbrechen" in Butscha. Bennett vermied bis zum Lawrow-Eklat jede Verteilung Russlands und bot sich als Vermittler an mit Äquidistanz zwischen Moskau und Kiew.

Im Westen hat das bei allem Verständnis für Israels Zwangslagen doch zunehmend für Verwunderung gesorgt, und vor allem aus Washington war der Druck gestiegen. Dies führte dazu, dass Israel nach anfänglichem Zögern in den zurückliegenden Abstimmungen bei den Vereinten Nationen gegen Russland votierte. Neben humanitären Gütern wurde Kiew zuletzt auch die Lieferung von Schutzausrüstung zugesagt. Und auch bei der von den USA in der vorigen Woche organisierten Konferenz zur weiteren militärischen Hilfe für die Ukraine war Israel vertreten.

Schon vor Lawrows Äußerungen war zu spüren gewesen, dass dies Russland verstimmt. Im Gegenzug war zum Beispiel jüngst Israels Vorgehen gegen die Palästinenser rund um die Al-Aksa-Moschee verurteilt worden, und in Moskau war in dieser Woche eine Delegation der Hamas zu Gast.

Lawrows Ministerium legte sogar nach, da rief der Premier den Kremlchef an

Nach Israels Reaktion auf Lawrow legte das russische Außenministerium sogar noch einmal kräftig nach. Kritik aus Jerusalem wurde als "anti-historisch" zurückgewiesen mit dem Verweis, dass schon es in den sogenannten Judenräten "eine Kooperation zwischen Juden und Nazis" gegeben habe. Nun würde Israel "das Neonazi-Regime in Kiew" unterstützen, und israelische Söldner kämpften Seite an Seite mit dem Asow-Regiment in Mariupol.

Das Telefonat zwischen Putin und Bennett sollte nun offenkundig die Wogen wieder glätten. Schließlich liegt es auch nicht im russischen Interesse, den Draht nach Israel komplett zu kappen. Bennett nahm bei dieser Gelegenheit auch gleich wieder die zuletzt in den Hintergrund geratene Vermittlerrolle an. Am Tag vor dem Gespräch mit Putin hatte er schon mit Selenskij telefoniert und drang nun auch in dessen Auftrag auf weitere Möglichkeiten zur Evakuierung von Zivilisten aus dem Stahlwerk in Mariupol. Doch seit dem Lawrow-Streit weiß nun auch Bennett, wie fragil seine Verbindung nach Russland ist.

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