Nahostkonflikt:Eskalation im Ramadan?

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Der Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalems Altstadt gehört zu den heiligsten Stätten im Islam. Unterhalb dieser Esplanade befindet sich die jüdische Klagemauer. (Foto: Christopher Furlong/Getty Images)

Während des Fastenmonats möchte der israelische Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir den Zugang für Muslime zum Tempelberg beschränken. Schon jetzt ist die Situation in Jerusalems Altstadt angespannt.

Von Sina-Maria Schweikle, Jerusalem

Ramadan. Kaum ein anderes Wort scheint momentan in Israel so bedeutungsschwanger zu sein wie dieses. Am Wochenende titelten israelische Medien, dass noch vor Beginn des muslimischen Fastenmonats um den 10. März herum eine Einigung über die Freilassung und Herausgabe der 134 lebenden und getöteten Geiseln erzielt werden könnte. Zugleich drohte der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir damit, den Zugang für Muslime zum Tempelberg in der Altstadt Jerusalems während des Ramadan "aus Sicherheitsgründen" einzuschränken.

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Jerusalem spielt für gläubige Muslime eine zentrale Rolle während des Fastenmonats. Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zehntausende werden im Ramadan auf dem al-Haram al-Scharif erwartet, wie Muslime den Tempelberg nennen. Auch zu den Freitagsgebeten kommen regelmäßig viele Muslime in die Pilgerstätte, um zu beten. Altersbeschränkungen beim Zugang zur Al-Aksa-Moschee werden in Zeiten angespannter Sicherheitslage routinemäßig auf Palästinenser aus der Westbank und Ost-Jerusalem angewandt, die keine israelischen Staatsbürger sind.

Oppositionsführer Lapid kritisiert die möglichen Einschränkungen

Freitagmittag, ein junger Mann mit buntem Gebetsteppich über der Schulter, steht vor israelischen Polizisten. Er wolle beten, sagt er, "ist das zu viel verlangt?" Er schaut den Polizisten, die ihm hartnäckig den Zutritt verwehren, in die Augen. In wenigen Minuten beginnt das Freitagsgebet in der Al-Aksa-Moschee, der junge Mann wird es verpassen. Überall im muslimischen Viertel und am Zugang zum Tempelberg sind israelische Polizisten und Soldaten positioniert, sie kontrollieren Palästinenser, vor allem junge Männer müssen an diesem Morgen umkehren. Warum sie zurückgewiesen werden? Auf Anfrage antwortet die israelische Polizei, sie setze sich "das ganze Jahr über für ein sicheres Umfeld für alle Bürger ein, unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Religion". Und: "Jeder Versuch, ein anderes Bild zu zeichnen" sei "eine Verzerrung der Realität." Gut möglich aber, dass die jungen palästinensischen Männer umkehren müssen, weil es am Vortag einen Terroranschlag gab, bei dem drei Palästinenser einen Israeli getötet und mehrere verletzt haben.

Nach Recherchen der New York Times hat Israel den Zugang zur Al-Aksa-Moschee für Palästinenser aus dem von Israel besetzten Westjordanland seit Langem eingeschränkt und seit Beginn des Gaza-Krieges zusätzliche Beschränkungen für arabische Bürger und Einwohner Israels eingeführt. Dahinter stehe die Annahme, die angespannte Lage im Konflikt über den Gaza-Krieg könnte sich jederzeit auch in Jerusalem in gewaltsamen Auseinandersetzungen entladen. Erst vor Kurzem hatte Sicherheitsminister Ben-Gvir eine Verschärfung und weitere Beschränkungen für den Fastenmonat gefordert. Später hatte das Büro von Benjamin Netanjahu mitgeteilt, der Premierminister habe "eine ausgewogene Entscheidung" getroffen, die Religionsfreiheit "mit den notwendigen Sicherheitsgrenzen" erlaube. Details hat das Büro bislang nicht veröffentlicht. In Medienberichten war von Alters- und Wohnsitzkriterien die Rede. Denkbar sei eine Vorgabe wie im vergangenen Jahr: Nur Männer ab 55 Jahren, Frauen und Kinder bis zwölf Jahren brauchten keine Genehmigung.

Vertreter der Opposition kritisierten die möglichen Einschränkungen. Bereits Anfang Februar warnte Oppositionsführer Jair Lapid auf der Plattform X: "Sollte Ben-Gvir die Aufsicht über die Veranstaltungen zum islamischen Fastenmonat tragen, wird das Gebiet in Flammen aufgehen." Mehrere Male hat Itamar Ben-Gvir mit einem Besuch auf dem Tempelberg provoziert, an dessen Stelle nach biblischer Überlieferung der Erste und Zweite Tempel gestanden haben soll. Die sogenannte Westmauer unterhalb der Tempelberg-Esplanade, auf der sich Felsendom und Al-Aksa-Moschee befinden, ist die für Juden heilige Klagemauer.

Viele Palästinenser haben seit dem 7. Oktober ihre Arbeit in Israel verloren

Auf dem Tempelberg, den Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert hat, kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern, die befürchten, dass der historische Status quo der heiligen Stätte infrage gestellt werden könnte. Der Tempelberg steht unter muslimischer Verwaltung, während Israel für die Sicherheit zuständig ist. Nach einem Abkommen mit den muslimischen Behörden dürfen Juden die Stätte besuchen, aber nicht dort beten. Es kommt immer wieder zu Verstößen gegen dieses Abkommen. Im Jahr 2000 löste ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon Unruhen aus, die zur jahrelangen zweiten Intifada führten. Auch im vergangenen Jahr kam es während des Ramadan zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. 2021 führten Razzien der israelischen Polizei am Tempelberg zu einem kurzen Krieg zwischen Israel und der Hamas.

Ob Polizeikontrolle da hilft? Manche Beobachter haben Sorge, dass Einlassbeschränkungen die muslimische Welt in Rage bringen könnten und warnen. "Die Erfahrung zeigt, dass die Situation oft eskaliert, wenn die Polizei den Zugang für Muslime einschränkt", sagt Aviv Tatarski von der israelischen, links-orientierten NGO Ir-Amin, die sich zum Ziel gesetzt hat, Jerusalem zu einer gerechteren und nachhaltigeren Stadt für Israelis und Palästinenser zu machen. Razzien und Einschränkungen würden in der Regel nicht gut ausgehen. "Im Gegenteil: Sie gehen meist nach hinten los", sagt Tatarski. Auch wirtschaftliche Faktoren haben den Unmut unter Palästinensern angefacht: Viele haben seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober ihre Arbeit in Israel und damit ihre Lebensgrundlage verloren. "Die Situation ist angespannt.", so Tatarski.

Immer wieder kommt es auch beim Freitagsgebet zu Gewalt

Wie angespannt die Situation in der Jerusalemer Altstadt ist, lässt sich auch an diesem Freitagmorgen vor dem Gebet beobachten. Innerhalb weniger Augenblicke droht die Situation zu eskalieren. Plötzlich stürmen mehrere israelische Polizisten auf einen Palästinenser zu, der bereits in die Enge getrieben wurde und auf dem Boden kniet. Kurz darauf kann man einen Palästinenser sehen, der sich weigert, umzukehren. Ein Soldat nimmt seinen Schlagstock und schlägt zu, am Ende sind beide verletzt.

Der junge Mann mit dem Gebetstuch, dem der Zutritt verwehrt wurde, steht jetzt in einer schmalen Gasse und beobachtet die Kontrollen. "Im Ramadan werden wir sehen", sagt er, "ob die Situation eskaliert oder nicht." Dann macht er sich auf den Weg, um einen anderen Zugang zum Tempelberg zu finden. Er hoffe, sagt er, dass es bald zu einer Feuerpause in Gaza kommt und "endlich wieder Frieden einkehrt".

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