Palästinenserstaat:Ein unerfüllter Traum

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In Libanon leben eine halbe Million palästinensische Flüchtlinge, die meisten bis heute in Lagern - hier in Sido. (Foto: Ali Hashisho/IMAGO/Xinhua)

Warum die Zwei-Staaten-Lösung kaum noch eine Chance haben dürfte, Wirklichkeit zu werden.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Die Terrorattacken der Hamas haben die Palästinenserfrage wieder auf die geopolitische Tagesordnung katapultiert. Dabei hatte die Frage nach einem eigenen Staat für die Palästinenser selbst für arabische Länder zuletzt keine Priorität - im Gegenteil. Ein Land nach dem anderen schloss seit 2020 ein Abkommen mit Israel, es schien so etwas wie eine neue Normalität im Nahen Osten einzuziehen.

Zuletzt dürfte auch ein Vertrag mit Saudi-Arabien unterschriftsreif gewesen sein. Kronprinz Mohammed bin Salman, der De-facto-Herrscher des Königreichs, sprach in einem Interview mit Fox News sogar davon, dass "das Leben der Palästinenser erleichtert" werden solle. Dabei verfolgen die Saudis vor allem eigene Interessen. Die palästinensische Führung, so hieß es, dürfe im Gegenzug mit großzügigen saudischen Finanzhilfen rechnen und weiter darauf hoffen, dass die Tür für eine spätere Staatsgründung geöffnet bleibt. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas indes hat keine Möglichkeit, noch direkten Einfluss zu nehmen. Er ist 87 Jahre alt, ein Präsident ohne Land und ein Anführer ohne Volk, der von seinen arabischen Brüdern immer seltener eingeladen wird und auch in den palästinensischen Gebieten immer weniger zu sagen hat.

Die militanten palästinensischen Gruppen wiederum sehen in der Entwicklung nichts anderes als einen Ausverkauf. Vertreter der Hamas, des Islamischen Dschihad und der Volksfront zur Befreiung Palästinas verdammten Ende September die saudischen Verhandlungen mit Israel als "Verrat am Blut der Märtyrer und am arabischen Volk". Zugleich kündigten sie an, den Kampf gegen Israel zu eskalieren. Eineinhalb Wochen später kam es zum Massaker in Israel.

Die Hamas hat ein Jahr nach ihrer Gründung 1987 in ihrer Charta ein klares Ziel definiert: "Die Islamische Widerstandsbewegung", so heißt es darin, "ist eine spezifisch palästinensische Bewegung, treu Gott ergeben. Der Islam dient ihr als Lebensentwurf. Sie strebt danach, das Banner Gottes über ganz Palästina, jeder Handbreit davon, aufzupflanzen." Auch wenn die Charta von der Führung verbal mehrmals abgeschwächt wurde, der Anspruch bleibt: auf ganz Palästina - vom Mittelmeer bis zum Jordan. Ein Existenzrecht Israels wird ignoriert.

Abbas gehört dagegen zu den Architekten dessen, was man Zweistaatenlösung nennt. Er erarbeitete 1977 mit dem israelischen General Mattityahu Peled die "Prinzipien für den Frieden", in denen erstmals eine Zweistaatenlösung skizzierte wurde - gegen den Widerstand des damaligen Palästinenserführers Jassir Arafat. Auf dieser Grundlage allerdings begann der Oslo-Friedensprozess, zu den Unterzeichnern des Abkommens am 13. September 1993 gehörte auch Abbas, der damals als Außenminister fungierte. Vom Ziel der Staatsgründung ist Abbas weiter entfernt denn je. Friedensgespräche mit den Israelis gibt es seit 2014 nicht mehr. Die rechtsreligiöse Regierung in Jerusalem propagiert offen den Anspruch auf das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan.

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Als Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bei seiner Rede in der UN-Generalversammlung Ende September eine Karte des "Neuen Nahen Ostens" hochhielt, da konnte man Israel als kleinen dunklen Fleck im Zentrum entdecken. Der von ihm als Israel gekennzeichnete Bereich umfasste das Westjordanland und den Gazastreifen. Mitglieder der seit Jahresbeginn amtierenden rechtsreligiösen Regierung in Israel erheben ganz offen Anspruch auf "Groß-Israel". Die beiden Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich fordern offen die Annexion palästinensischer Gebiete. "So etwas wie Palästinenser gibt es nicht", so Smotrich. Sie treten für die Vertreibung großer Teile der palästinensischen Bevölkerung aus dem Westjordanland ein.

Die UN erkennen 5,5 Millionen Palästinenser als Flüchtlinge an

Neben 600 000 jüdischen Siedlern leben dort mehr als zwei Millionen Palästinenser, im Gazastreifen sind es 2,23 Millionen. Nach der Staatsgründung Israels 1948 und dem Sechstagekrieg 1967 wurden Hunderttausende Palästinenser vertrieben oder haben ihr Zuhause verlassen. Die meisten begaben sich in Nachbarländer. In Jordanien sind drei von zehn Millionen Einwohner palästinensischen Ursprungs, in Libanon rund eine halbe Million - acht Prozent der Bevölkerung. In Syrien leben rund 400 000.

(Foto: SZ-Karte/MENA)

Ein 1949 gegründetes Flüchtlingshilfswerk der UN, UNWRA, kümmert sich um die Palästinenser. Israel kritisiert die UNRWA seit Jahren und wirft ihr vor, dass die Organisation mittlerweile 5,5 Millionen Palästinensern den Flüchtlingsstatus zuerkennt. Die Palästinenser selbst und auch die Nachbarstaaten dringen deshalb auf den Flüchtlingsstatus, weil damit der Anspruch auf einen eigenen Staat aufrecht bleibt - zumindest formal, auch wenn real keine Verwirklichung in Sicht ist.

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