Nahostdiplomatie:Hoffen auf den großen Wurf

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Zum fünften Mal auf Nahostmission seit dem Hamas-Anschlag am 7. Oktober: US-Außenminister Antony Blinken bei Israels Premier Benjamin Netanjahu. (Foto: Amos Ben-Gershom/dpa)

Amerikas Außenminister versucht, woran alle seine Vorgänger gescheitert sind: den langfristigen Ausgleich Israels mit den arabischen Nachbarn und die Gründung eines Palästinenserstaats. Und nebenher soll Antony Blinken auch noch helfen, einen Krieg zu beenden.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Ein Tag im Leben des amerikanischen Außenministers: Aufgewacht ist Antony Blinken in Saudi-Arabien. Das Tagesprogramm führt ihn in die ägyptische Hauptstadt Kairo und nach Katar. Ins Bett gegangen ist er am Abend schließlich in Jerusalem. Der Krieg um Gaza geht inzwischen in den fünften Monat, und unermüdlich tourt der Washingtoner Chef-Diplomat wieder einmal durch das nahöstliche Krisengebiet. Doch wo immer er auch hinkommt, stößt er auf lose Enden - und er soll sie zu einer Lösung verknüpfen.

Der Reiseplan verrät, dass die US-Regierung längst nicht nur das aktuelle Kampfgeschehen im Blick hat, sondern ein ambitioniertes Gesamtkonzept verfolgt. Natürlich steht dabei ein möglichst rasches Ende des Kriegs um Gaza im Mittelpunkt. Doch zugleich will Blinken Wege ebnen zur späteren Gründung eines Palästinenserstaats und zu einem langfristigen Ausgleich Israels mit den arabischen Nachbarn. Der Schlüssel dazu liegt in einer Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien. Nach Blinkens Besuch in Riad bekannte sich die saudische Führung zu diesem Ziel, unterstrich aber zugleich die Bedingungen: einen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen und Israels Bekenntnis zur Zweistaatenlösung.

Nötig sind erst einmal Fortschritte bei den Verhandlungen über die Geiseln

So hängt also alles mit allem zusammen. Ein großer Wurf ist möglich - oder aber ein gewaltiger und gefährlicher Fehlschlag. Klar ist nur, dass die Entscheidung darüber nicht auf dieser fünften Nahost-Reise fallen wird, die Blinken seit dem Kriegsbeginn am 7. Oktober unternommen hat. Aber wenigstens ein Anfang soll gemacht werden, und dazu braucht es zunächst einmal Fortschritte in den Verhandlungen über einen neuen Geisel-Deal.

Vor anderthalb Wochen hatten unter amerikanischer Federführung die Vermittler aus Katar und Ägypten in Paris die Grundzüge für ein neues Abkommen zur Freilassung der von der Hamas nach Gaza verschleppten Israelis vorgelegt. Israels Unterhändler hatten sogleich grundsätzlich ihre Zustimmung signalisiert. Am Dienstagabend schließlich kam - pünktlich zu Blinkens Ankunft in Katar und vor seinen Gesprächen am Mittwoch in Jerusalem - die lange hinausgezögerte Antwort der Hamas.

Der erste Befund: Es gibt noch viel Arbeit für Blinken und Co., denn die Hamas hat ebenso wie Israel ein kräftiges "Ja, aber" hinterlassen. Demonstrativ optimistisch reagierte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Blinken zwar der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, der von einer "positiven" Antwort der Hamas sprach. Im fernen Washington erklärte US-Präsident Joe Biden jedoch deutlich vorsichtiger, es gebe "etwas Bewegung", die Forderungen der Hamas schienen jedoch "ein wenig übertrieben" zu sein. Blinken schließlich verwies darauf, dass bei allen Schwierigkeiten "eine Vereinbarung möglich und in der Tat unerlässlich" sei.

Blinkens Aufgabe gleicht dabei allerdings der Quadratur des Kreises, da die Vorstellungen der Hamas und der israelischen Führung in entscheidenden Punkten noch extrem weit auseinanderliegen beziehungsweise sich gegenseitig ausschließen. Der bedeutsamste Punkt: Die Hamas beharrt darauf, dass die verbliebenen Geiseln nur freikommen können, wenn der Krieg um Gaza endet.

Einzelheiten der Hamas-Antwort wurden nicht offiziell bekannt gegeben. Doch die Nachrichtenagentur Reuters berichtet mit Verweis auf einen ihr vorliegenden Entwurf über einen Dreistufenplan. Gestreckt über 135 Tage soll er von einer Waffenpause zu einem Kriegsende führen. Demnach schlägt die Hamas vor, in einer ersten, 45 Tage dauernden Phase alle Frauen, Kinder sowie alte und kranke Geiseln freizulassen im Austausch gegen palästinensische Frauen und Kinder aus israelischer Haft. In dieser Phase sollen sich die israelischen Truppen aus dicht besiedelten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen.

In Stufe zwei, ebenfalls angesetzt auf 45 Tage, können alle restlichen Geiseln freigelassen werden - allerdings nur, wenn Israel im Gegenzug eine große Zahl palästinensischer Gefangener - genannt wird in israelischen Medien die Zahl 1500 - freilässt. Vor allem aber soll sich Israel zu einem kompletten Ende aller Kampfhandlungen verpflichten und seine Truppen komplett aus dem Gazastreifen abziehen. In der letzten, noch einmal 45 Tage langen Phase sollen schließlich die sterblichen Überreste der bereits toten Geiseln übergeben werden.

Der Druck auf Netanjahu in Israel ist immens

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, den Blinken am Mittwochmorgen in Jerusalem traf, hatte allerdings schon in den vergangenen Tagen keine Gelegenheit ausgelassen, um zu betonen, dass für ihn ein Kriegsende ebenso wenig infrage komme wie die Freilassung "Tausender" Häftlinge. Am Mittwochabend erteilte er auf einer Pressekonferenz den "wahnhaften Forderungen" der Hamas eine zumindest vorläufige Absage, sie würden ins "Desaster" führen. Stattdessen bekräftigte er noch einmal sein Mantra, dass nur militärischer Druck und ein "kompletter Sieg" über die Hamas zur Befreiung der Geiseln führen könne.

Blinkens Möglichkeiten, Druck auf Netanjahu auszuüben, sind eher begrenzt. Denn Zugeständnisse an die Hamas könnten Israels Premier das Amt kosten. Die rechtsextremen Koalitionspartner nämlich lehnen jeden weitreichenden Kompromiss kategorisch ab.

Druck auf Netanjahu in der Geisel-Frage könnte allein aus Israels Öffentlichkeit kommen. Das Schicksal der Entführten ist in dem Land das beherrschende Thema in allen Debatten über den Krieg, und wie sehr die Zeit zu einer Befreiung drängt, zeigen die jüngsten Aussagen des Armeesprechers. Er erklärte nun offiziell, dass 31 der insgesamt noch in Gaza verbliebenen 136 Geiseln nicht mehr am Leben seien. Die New York Times und das Wall Street Journal berichteten gleichzeitig unter Berufung auf anonyme israelische Quellen, dass möglicherweise sogar bis zu 50 Geiseln tot sein könnten.

Angesichts dieser komplizierten Gemengelage dürfte es Blinken allein als positiv verzeichnen, dass trotz der gegensätzlichen Positionen keine der beiden Seiten die Tür für weitere Verhandlungen zugeschlagen hat. Seine Arbeit aber steht damit aller hektischen Reisediplomatie zum Trotz immer noch am Anfang. Eine schnelle Lösung zeichnet sich nirgends ab, und im Gazastreifen wüten ungebremst die Kämpfe. Mehr als 27 000 Menschen wurden dabei nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden getötet, zwei Drittel sollen Frauen und Kinder sein. Nach vier Monaten Krieg ist das nur eine Zwischenbilanz.

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