Rücktritt von Aharon Haliva:Mitverantwortung für "die schreckliche Last dieses Krieges"

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Aharon Haliva, Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, zieht Konsequenzen aus Israels Schutzlosigkeit am 7. Oktober 2023. (Foto: IDF Spokesperson's Unit/CC BY-SA 3.0)

Israels Militärgeheimdienstchef Aharon Haliva gibt sein Amt ab, sobald ein Nachfolger gefunden ist. Der Zeitpunkt der Ankündigung überrascht - und könnte den Rücktrittsdruck auf Premier Netanjahu erhöhen.

Von Tomas Avenarius, Tel Aviv

Der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes hat unerwartet seinen Rücktritt angekündigt. Generalmajor Aharon Haliva übernimmt damit Verantwortung für seinen Anteil am Versagen der verschiedenen militärischen, geheimdienstlichen und politischen Strukturen Israels beim Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober. Haliva hatte zwar schon kurz nach dem Hamas-Terrorangriff und dem darauf begonnenen israelischen Einmarsch in den Gazastreifen angekündigt, sich nach einem Ende des Krieges einer Untersuchung seiner Rolle zu stellen. Er sprach von einem völligen Versagen der militärischen Aufklärung. "Noch am selben Morgen war mir klar geworden, dass es vorbei ist", hatte er nach dem 7. Oktober 2023 gesagt. "Nach dem Krieg werde ich gehen müssen."

Nun will Haliva aber schon vor Kriegsende und sofort gehen: Es soll nur noch ein Nachfolger für die Führung des Militärgeheimdienstes gefunden werden. Dies teilte der seit 38 Jahren bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) dienende Karriereoffizier in einem Brief an Generalstabschef Halevi mit. Verteidigungsminister Joav Gallant nahm den Rücktritt an. Die IDF selbst erklärte am Montag: "Generalmajor Aharon Haliva hat in seinem Rücktrittsgesuch seine Bewunderung für die Handlungen der Offizier der IDF in diesem Krieg ausgedrückt." Haliva selbst sagte, er wolle persönlich Verantwortung übernehmen und werde sein Leben lang "die schreckliche Last dieses Krieges tragen".

Müssten nicht auch Politiker gehen?

Dass die für Israels unerhörte Oktober-Niederlage verantwortlichen ranghohen Offiziere Konsequenzen würden tragen müssen, war schon lange klar. Wie Generalmajor Haliva hatten auch Armeechef Herzi Halevi und der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Ronen Bar, direkt nach dem Terrorüberfall mit 1200 getöteten und 230 entführten Israelis angekündigt, sich nach einem Sieg der IDF über die Hamas persönlich vor einem Untersuchungsausschuss zu verantworten.

Bei all dem stellt sich wie damals schon auch heute wieder die Frage, ob neben Offizieren nicht auch Politiker gehen müssten. Zuvorderst Regierungschef Benjamin Netanjahu, der nicht nur von der israelischen Opposition für den 7. Oktober verantwortlich gemacht wird. Im Gegensatz zu Offizieren und Geheimdienstlern hat er aber von Anfang an jede persönliche Verantwortung bestritten. Nach Meinung seiner Kritiker schob Netanjahu in unzulässiger Weise alle Schuld der Armee und den Sicherheitsdiensten zu. Die Debatte über seine Verantwortung für die mangelnde Vorsorge gegen einen solch beispiellosen Terrorakt könnte in Israel nun erneut aufflammen - zumal der abtretende Geheimdienstchef die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses fordert. Das dürfte kaum im Interesse des ohnehin unter politischem Dauerdruck stehenden Netanjahu sein.

Keines seiner Kriegsziele hat Israel bislang erreicht

Unklar ist, weshalb der Militärgeheimdienstchef gerade jetzt abtritt. Der Krieg gegen die Hamas ist bislang nicht entschieden, die seit Langem angekündigte Offensive auf Rafah als letzte Hochburg der Hamas im Gazastreifen steht angeblich unmittelbar bevor. Sie stößt weiter auf den Widerstand der USA, Europas und der arabischen Staaten: In Rafah und Umgebung sollen sich Hunderttausende Flüchtlinge aus dem gesamten Küstengebiet aufhalten. Sie dürften im Falle eines Angriffs fast schutzlos sein. Auch an der Nordgrenze ist die Lage unentschieden: Die libanesische Terrororganisation Hisbollah und die IDF beschießen sich weiter fast täglich.

Israel hat bis noch keines seiner Kriegsziele erreicht. Mehrere Dutzend der israelischen Geiseln sind weiter in der Hand der palästinensischen Militanten, obwohl Netanjahus Regierung und die Militärführung deren Rettung als eines der wichtigsten Kriegsziele bezeichnen. Erstaunlich ist Halivas Rücktrittsankündigung auch, weil Israel und Iran in der vergangenen Woche nach gegenseitigen Raketenangriffen kurz vor dem Ausbruch eines offenen Krieges standen - und ein vergleichsweise zurückhaltend ausgeführter israelischer Angriff auf eine Militär- und Radaranlage bei Isfahan von Teilen der Bevölkerung und der Regierung als Erfolg Netanjahus betrachtet wird.

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