Libanesische Hisbollah-Miliz:"Mehr Feuerkraft als die meisten europäischen Länder zusammengenommen"

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Smoke rises on hills in the border area of Shebaa farms after being hit by a rocket fired from southern Lebanon, on October 14, 2023. Hezbollah and other Palestinian factions in Lebanon have exchanged cross-border fire with Israel since Hamas's surprise October 7 attack on Israel ignited a war that has killed more than 1,300 people in Israel. (Photo by jalaa marey / AFP) (Foto: JALAA MAREY/AFP)

In Israel wächst die Sorge vor einem Zweifrontenkrieg: Die Hamas schießt vom Gazastreifen Raketen, die Hisbollah aus Libanon. Diese Miliz versucht offenbar, israelische Kräfte zu binden - die der Gaza-Offensive dann fehlen.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Die Sorge vor einem Zweifrontenkrieg ist an diesem Sonntag in israelischen Militärkreisen größer geworden. Denn es waren mehr als die vereinzelten Scharmützel der vergangenen Tage, die im libanesisch-israelischen Grenzgebiet zu beobachten waren. Die Hisbollah scheint ganz gezielt gleich an mehreren Stellen aktiv zu werden, um möglichst viele Kräfte der israelischen Armee im Norden des Landes zu binden. Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, warf der Hisbollah-Miliz in Libanon am Sonntagabend vor, die Spannungen an der Grenze bewusst zu schüren, um die israelische Bodenoffensive zu verhindern. Israel plant die Offensive als Reaktion auf die Angriffe der radikal-islamischen Hamas vom Gazastreifen aus. Auch diese Angriffe gehen weiter: Der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen dauerte am Sonntag unvermindert an, selbst im Zentralraum rund um Tel Aviv gab es Alarm.

Aus Libanon flogen am Sonntag mindestens fünf Mal Panzerabwehrraketen und Mörsergranaten in Richtung Nordisrael, am Abend kam es noch zu Feuergefechten direkt an der Grenze. Eine Rakete schlug auf einer Baustelle ein. Ein israelischer Arbeiter wurde getötet, drei weitere wurden verletzt. Die israelische Armee griff daraufhin auch mit Kampfhubschraubern "militärische Infrastruktur" im Süden Libanons an.

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Nach dem Angriff der Hamas hat Israel alles Recht auf seine Verteidigung und einen militärischen Schlag gegen die Terrororganisation. Gemessen wird die Regierung aber daran, wie zielgerichtet sie vorgeht - und ob sie einen politischen Plan anbieten kann.

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Das Hauptquartier der in Südlibanon stationierten Soldaten der UN-Friedensmission UNIFIL meldete am Sonntag ebenfalls einen Raketeneinschlag - unklar ist aber noch, welche Seite dafür verantwortlich ist. Verletzt wurde niemand. Auch bis zu 170 Bundeswehrsoldaten sind an seegestützten Teil dieser Blauhelm-Mission beteiligt.

Die Eskalation im Norden beobachtet Yoel Guzansky vom israelischen Thinktank INSS mit Sorge. Er betont, dass das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome sehr gefordert wäre, wenn es massiven Beschuss gleich an zwei Fronten gäbe. Der Militärexperte verweist darauf, dass die Hisbollah über ein ungleich größeres Arsenal als die Hamas verfüge. Wenn die Schiiten-Miliz davon Gebrauch mache, dann seien Hunderte Tote auf israelischer Seite zu befürchten.

Nach Einschätzung von Experten soll die Hisbollah über ein Arsenal von bis zu 150 000 Raketen verfügen - darunter 5000 Mittel- und Langstreckenwaffen mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern, die sogar den Großraum Tel Aviv mit seinen zahlreichen Hochhäusern erreichen könnten. Damit verfüge die Miliz "über mehr Feuerkraft als die meisten europäischen Länder zusammengenommen", sagte Yaakov Amidror vom Begin-Sadat-Institut für strategische Studien in einem Interview mit der Jerusalem Post.

20 000 aktive Kämpfer und 30 000 "Reservisten"

Das in Washington ansässige Zentrum für internationale strategische Studien beschreibt die Hisbollah als "den am stärksten bewaffneten nichtstaatlichen Akteur" der Welt: Die Hisbollah sei "eine Miliz, die wie eine reguläre Armee ausgebildet und wie ein Staat ausgerüstet ist".

2006 hatte die israelische Armee versucht, die Hisbollah entscheidend zu schwächen. Unter den etwa 2000 Toten auf libanesischer Seite sollen sich 500 Hisbollah-Kämpfer befunden haben. Die von der Schiiten-Miliz kontrollierten Stadtviertel im Süden von Beirut wurden nach tagelangen israelischen Luftangriffen dem Erdboden gleichgemacht, im Süden des Landes wurden Straßen und Brücken zerstört.

Aber zerschlagen werden konnte die von Iran finanzierte und ausgerüstete Miliz nicht. Mit etwa 20 000 aktiven Kämpfern und 30 000 "Reservisten" ist sie heute ganz erheblich stärker als vor 17 Jahren.

Wie groß der Einfluss Irans ist, wurde bei einem Auftritt des iranischen Außenministers Hossein Amir-Abdollahian am Samstag deutlich. "Jeder hat Szenarien entworfen, und jeder hat die Hand am Abzug", sagte er nach einem Treffen mit Hisbollah-Vertretern in Beirut.

Auch in Israel wird die Entwicklung mit Sorge betrachtet. Verteidigungsminister Joav Gallant versicherte am Sonntag: "Wir haben kein Interesse an einem Krieg im Norden, wir wollen die Situation nicht eskalieren lassen." Wenn die Hisbollah den Kriegspfad einschlage, dann werde die Schiiten-Miliz einen hohen Preis dafür zahlen.

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