Seit knapp zehn Monaten ist die Koalitionsregierung von Premierminister Naftali Bennett, bestehend aus acht Parteien, an der Macht. Nun hat sie ihre hauchdünne Mehrheit verloren, und Israel fällt zurück in eine Zeit der innenpolitischen Krise.
Verantwortlich ist eine Abgeordnete aus Bennetts eigener Jamina-Partei, die dem Bündnis den Rücken gekehrt hat. Idit Silman begründete ihren Ausstieg mit weltanschaulichen Differenzen und rief andere Koalitionskollegen auf, ihr zu folgen, um eine neue rechte Regierung zu bilden. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu, der sich nun wieder Hoffnung auf eine Rückkehr ins Regierungsamt machen kann, gratulierte Silman sogleich zu ihrer "mutigen Entscheidung".
Die Regierungskoalition verfügt nun nur noch über 60 der 120 Knesset-Stimmen und kann damit keine Gesetzesvorhaben mehr umsetzen. Mit ihrer zuvor knappen Mehrheit hatte das extrem heterogene Bündnis, dem neben rechten und linken Parteien auch erstmals in Israels Geschichte eine arabische Partei angehört, einige Erfolge wie die Verabschiedung eines Staatshaushalts erzielen können. Die Bruchlinien waren jedoch auch immer wieder deutlich geworden. Dabei ging es um den Umgang mit den Palästinensern, mehr noch aber um Religionsfragen.
Auslöser der jetzigen Krise war ein Streit zwischen Silman und Gesundheitsminister Nitzan Horowitz von der linken Meretz-Partei darüber, ob während des anstehenden Pessach-Festes Gesäuertes wie zum Beispiel Brot in Krankenhäuser gebracht werden darf. Horowitz will das mit Verweis auf ein Urteil des Obersten Gerichts erlauben, Silman geißelte dies als Verstoß gegen die religiösen Regeln und forderte den Rücktritt des Ministers.
Ihren eigenen Rückzug begründete sie nun damit, den "jüdischen Charakter des Staats" bewahren zu wollen. Israelischen Medienberichten zufolge soll sie zuvor schon Kontakte zu Netanjahus Likud-Partei geknüpft haben und von dort mit Versprechungen für ihre persönliche politische Zukunft gelockt worden sein.
Regierungschef Bennett wurde von der Entscheidung seiner Parteifreundin offenbar komplett überrascht, er erfuhr davon aus den Medien. Er sagte für Mittwoch alle vorgesehenen Termine ab und stürzte sich in Krisensitzungen. Für den Fortgang des Verfahrens sind nun mehrere Szenarien möglich.
Wahrscheinlich kommt es zu einer Neuwahl
Grundsätzlich könnte sich die Regierung beim aktuellen Patt im Parlament auch ohne Mehrheit an der Macht halten. Zudem könnte sie versuchen, andere Abgeordnete oder Fraktionen in ihr Lager hinüberzuziehen. Ansprechpartner wären dafür die bislang oppositionelle arabische Vereinte Liste sowie die beiden ultra-orthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum. Eine weitere arabische Partei wäre jedoch für die Rechten in der Koalition kaum akzeptabel. Eine Zusammenarbeit mit den Religiösen erscheint unvereinbar mit den säkularen Kräften.
Das wahrscheinlichste Szenario ist daher eine Neuwahl und damit eine Fortsetzung der unheilvollen Serie von vier Wahlen innerhalb zweier Jahre, die der Bildung der jetzigen Regierung vorausgegangen war. Für das dazu notwendige Misstrauensvotum in der Knesset müsste aber noch mindestens ein weiterer Abgeordneter zur Opposition überlaufen. An potenziellen Kandidaten dafür mangelt es nicht.
Sollte es den Kräften um Netanjahu herum gelingen, gleich sieben Parlamentarier aus der bisherigen Koalition abzuwerben, könnte auch ohne Neuwahl aus dem bestehenden Parlament heraus eine neue Regierung gebildet werden. Netanjahu rief dazu bereits alle rechten Koalitionsabgeordneten auf, "nach Hause" zurückzukehren.