Woher kommen die neuen Schätzungen zu den IS-Milizen?
20 000 bis 31 500 Kämpfer stehen dem sogenannten Islamischen Staat (IS) im Irak und in Syrien inzwischen zur Verfügung, berichtet der US-Geheimdienst CIA. Das sind im schlimmsten Fall drei Mal so viel wie bislang angenommen.
Die neuen Zahlen wurden vom US-Militär mithilfe von Aufklärungsflügen ermittelt. Seit die USA Luftangriffe gegen IS-Stellungen erwägen, haben diese Flüge deutlich zugenommen. CNN zufolge finden inzwischen täglich etwa 60 Aufklärungs- und Überwachungsflüge des US-Militärs über dem Irak statt. Die Zahlen basierten außerdem auf einer neuen Auswertung aller Geheimdienstberichte von Mai bis August, sagte ein CIA-Sprecher der Washington Post.
Wer sind die IS-Kämpfer?
Offenbar müssen die Extremisten im Irak und in Syrien eine Vielzahl neuer Kämpfer rekrutiert haben. Die CIA vermutet, dass es sich dabei vor allem um Sunniten handelt, die vom Erfolg des IS im Kampf gegen seine Gegner beeindruckt sind. Seit Monaten haben die IS-Kämpfer große Gebiete in den beiden Ländern erobert. Auch die Ausrufung eines "Kalifats" durch die Terroristen Ende Juni dürfte eine Rolle gespielt haben, wie CIA-Sprecher Todd Ebitz der New York Times sagte.
In Syrien haben sich in den vergangenen drei Jahren Hunderte Milizen gebildet, um das Regime in Damaskus zu stürzen. Wie die New York Times berichtet, kämpfen auch moderate Gruppen inzwischen an der Seite von Islamisten wie mit jenen der Al-Nusra-Front.
Auch im Irak selbst, wo 2006 der IS-Vorgänger Isis als Ableger von al-Qaida gegründet wurde, ist es schwierig, die Herkunft der Terror-Kämpfer zu bestimmen. In der Organisation schlossen sich sunnitische Widerstandskämpfer zusammen, um sowohl gegen die US-Truppen als auch gegen die von Schiiten dominierte Regierung in Bagdad zu kämpfen. So hatte etwa der Kopf von Isis und "Gründer" des "Islamischen Staates", Abu Bakr al-Bagdadi, ursprünglich vor allem Angehörige seines eigenen Familienclans für die Gruppe rekrutiert. Glaubt man einem Whistleblower aus dem Umfeld des IS, so sind unter den militärischen Führern der Terror-Miliz auch wichtige ehemalige Offiziere der Armee von Iraks früherem Diktator Saddam Hussein. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Terror-Milizen so gut organisiert sind.
Zu den irakischen und syrischen Kämpfern kommen noch Dschihadisten aus dem Ausland. Allein nach Syrien sind mehr als 15 000 solche Kämpfer gekommen, berichtet CNN unter Berufung auf die CIA. 2000 davon kommen angeblich aus dem Westen. Viele kämpfen in Syrien und dem Irak, weil sie von den Misserfolgen der Islamisten etwa in Ägypten enttäuscht sind. Viele dieser ausländischen Dschihadisten haben sich offenbar den IS-Milizen angeschlossen. Außerdem dürften manche Iraker und Syrer für den IS kämpfen, weil dieser seine Kämpfer relativ gut zu bezahlen scheint.
Warum sind die Anrainerstaaten erst jetzt zu Maßnahmen gegen den IS bereit?
SZ-Korrespondentin Sonja Zekri berichtet von einem gängigen arabischen Argument gegen eine Beteiligung am Kampf gegen den IS: Es hätten schließlich die Amerikaner mit dem Sturz Saddam Husseins die Misere ausgelöst. Also sei es deren Sache, wieder für Ruhe zu sorgen. Saudi-Arabien und Katar wurde sogar vorgeworfen, sie hätten die IS-Terroristen anfänglich mit Geldmitteln versorgt.
Auf jeden Fall hatte Saudi-Arabiens sunnitisches Königshaus bisher kein Interesse daran, ausgerechnet der von Schiiten dominierten Regierung im Irak zu helfen. Diese hält enge Verbindungen zum schiitischen Gottesstaat Iran - einem der größten Konkurrenten Saudi-Arabiens um Einfluss im Nahen Osten. Außerdem wurden die Sunniten im Irak bislang unterdrückt.
So lehnen die Saudis das Kalifat der IS-Terroristen zwar ab, haben aber bislang gezögert, gemeinsam mit dem schiitisch dominierten Iran, der Regierung in Bagdad und westlichen Ländern gegen die sunnitischen Extremisten vorzugehen. Ähnliche Motive dürften andere arabische Länder bislang haben stillhalten lassen.
Auf Drängen der Amerikaner haben zehn arabische Länder nun beschlossen, sich einer Allianz aus den USA, europäischen Staaten, Australien und Kanada anzuschließen. An militärischen Angriffen wollen sie sich bislang nicht beteiligen. Immerhin haben sie auf einer Anti-Terror-Konferenz in Dschidda angekündigt, sie würden die Finanzströme der Extremisten stoppen. Auch solle verhindert werden, dass weitere Kämpfer nach Syrien und Irak einreisen. Nach US-Angaben, so berichtet die SZ, habe Saudi-Arabien sich sogar bereit erklärt, "die Kämpfer gegen den IS und den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu trainieren und auszurüsten". Und Jordanien könnte versuchen, die sunnitischen Stämme aus dem Irak und Syrien für den Kampf gegen den IS zu gewinnen.
Dass die arabischen Länder nun bereit sind, gegen den IS vorzugehen, hängt offenbar mit dessen anhaltendem Erfolg zusammen. Inzwischen fühlen sich die Regierungen der Anrainerstaaten direkt bedroht. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen hoffen sie zu verhindern, dass sie IS-Kämpfer an ihren Grenzen abwehren müssen. Bei den arabischen Staaten in der Allianz handelt es sich neben Saudi-Arabien um Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar, Oman, Ägypten, den Irak, Jordanien und Libanon. Zwar war auch die Türkei an den Gesprächen beteiligt. Ankara ist jedoch lediglich zu humanitären Maßnahmen bereit.
Welche Rolle spielen die USA in der Region?
Die USA stehen in einer besonderen Verantwortung dem Irak gegenüber. Die gegenwärtige Situation hat sich nach dem Einmarsch der westlichen Truppen und dem Sturz von Saddam Hussein entwickelt. Das bisherige Engagement der Amerikaner würde ad absurdum geführt, sollte das Land zum "Islamischen Staat" werden, beherrscht vom brutalen Terror der Fundamentalisten um Abu Bakr al-Bagdadi.
In Syrien ist die Situation noch komplizierter als im Irak. Hier kämpfen die IS-Milizen gegen die Truppen des Diktators - genau wie die moderaten Rebellengruppen. Auch der Westen hofft auf ein Ende des Assad-Regimes. Allerdings kann der gemeinsame Gegner die verschiedenen Interessengruppen hier nicht zu Verbündeten machen. Die Amerikaner wollen deshalb die IS-Truppen in Syrien aus der Luft angreifen und die gemäßigten Aufständischen unterstützen, ohne dass die Dschihadisten davon profitieren.
Allerdings wird es den USA schwerfallen, Luftschläge auf syrischen Boden völkerrechtlich zu rechtfertigen. Syrien lehnt die Angriffe offiziell strikt ab. Da das Regime in Damaskus von Russland und Iran unterstützt wird, ist es unsicher, ob der UN-Sicherheitsrat die Angriffe legitimieren würde. Auch China, so berichtet der britische Guardian, hat erklärt, dass die nationale Souveränität Syriens respektiert werden müsse. Manche Fachleute, schreibt die Zeitung, glaubten allerdings, dass Assad Luftschläge gegen IS-Stellungen ignorieren würde. Vielleicht würde er sogar versuchen, bei den Maßnahmen des Westens heimlich zu kooperieren.