Sie tauchen einfach auf. Steigen auf einen Stromkasten an einer viel befahrenen Straße in Teheran. Stellen sich auf einen Brunnen. Oder einfach an einen belebten Platz oder eine Kreuzung. Dann nehmen die Frauen den Hijab ab, das Kopftuch, das in Iran die Gesetze der Islamischen Republik ausnahmslos allen Frauen vorschreiben.
Schon am Flughafen weisen Schilder darauf hin, dass "die Bescheidenheit die Zierde der Frau" sei, und diese daher ihren Kopf zu bedecken habe. Es gibt keine Ausnahme von dieser weltweit einmaligen Vorschrift, auch westliche Politikerinnen müssen - anders als etwa in Saudi-Arabien - ihr Haar in Iran verhüllen.
Nachrichtenfernsehen:Wieso eine deutsche Reporterin mit Kopftuch berichtet
Natalie Amiri ist Korrespondentin für die "Tagesthemen" in Iran. Dass sie dort Kopftuch trägt, muss sie vielen Zuschauern immer wieder erklären.
Keine Massenbewegung aber Regime überwacht alles genau
Immer mehr mutige Iranerinnen protestieren gegen diesen Zwang; sie binden ihre Kopftücher an einen Stock und schwenken sie wie eine Fahne. Vielen von ihnen geht es dabei offenbar nicht nur um die Kleidervorschriften, sondern um die Benachteiligung von Frauen durch das Rechtssystem und gesellschaftliche Gepflogenheiten in Iran. Manche machen Selfies mit dem Handy, alle aber werden von Passanten fotografiert und gefilmt. Minuten später sind die Bilder in den sozialen Netzwerken und Messenger-Gruppen geteilt, auf denen Millionen Iraner digital miteinander kommunizieren, trotz staatlicher Verbote.
Niemand kennt die genaue Zahl der Frauen, die sich an den Protesten beteiligt haben; eine Massenbewegung ist es noch nicht. Aber die Bilder verbreiten sich millionenfach. Und so wird daraus eine Herausforderung für das Regime, das peinlich darüber wacht, dass nicht wieder landesweite Proteste ausbrechen. Erst um den Jahreswechsel haben Demonstrationen in 80 Städten das Land in Aufruhr versetzt.
Bereits im vergangenen Sommer hatte die im Exil lebende Journalistin Masih Alinejad mit ihrer Kampagne "My Stealthy Freedom" zu Protesten gegen den Kopftuchzwang aufgerufen. Am "Weißen Mittwoch" sollten die Iranerinnen weiße Hijabs und Kleidung tragen; auch jetzt schwenken viele der Frauen weiße Tücher.
Kopftuch abnehmen ist "eine eindeutige Straftat"
Nichts aber symbolisiert zumindest aus Sicht der Ultrakonservativen den islamischen Charakter des Systems so wie die Bekleidungsvorschriften, die von Frauen auch verlangen, einen knielangen Mantel zu tragen. Es war immer ein Gradmesser für die alltäglichen Freiheiten, die das Regime den Menschen lässt, wie scharf die Sittenpolizei diese Regeln überwacht.
Zerrten sie unter Präsident Mahmud Ahmadinejad noch Frauen aus Autos, wenn denen das Kopftuch in den Nacken gerutscht war, konnte man unter seinem Nachfolger Hassan Rohani beobachten, wie der Stoff immer weiter nach hinten rückte. Doch damit ist jetzt womöglich abrupt Schluss.
Generalstaatsanwalt Abbas Jafari Dolatabadi betonte, das Kopftuch abzunehmen sei "eine eindeutige Straftat", und die Strafverfolger würden "ihre Pflicht konsequent erfüllen". Eine Frau, die am 27. Dezember festgenommen und mit ihrem Video zur Symbolfigur der Proteste geworden war, kam laut der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh zwar wieder frei; Tausende Iraner hatten sich im Internet mit ihr solidarisiert. Doch meldet die Nachrichtenagentur Tasnim, dass 29 weitere Frauen festgenommen worden seien. Ihnen drohen hohe Strafen.