Raed steht vor einem Zelt, knetet ein Stück trockenes Brot in der Hand. Das Zelt ist leer. Der Mann aus Mossul besitzt nicht mehr viel mehr als das, was er am Leib trägt und das, was ihm die Helfer im Flüchtlingslager geben: "Wir sind geflohen, sobald die Kämpfe aufgehört hatten, sobald der Weg sicher war."
Wer seine Heimatstadt Mossul überfallen, Soldaten und Polizisten erschossen und die irakische Armee im Handstreich aus der Millionenstadt vertrieben hat, ist für ihn klar: "Islamisten. Die meisten tragen diese langen Bärte. Nach den Kämpfen sind sie zum Basar, mit Benzinkanistern. Sie sind in die Alkoholgeschäfte und in die Teehäuser, in denen die Männer Karten spielen, und haben diese Orte in Brand gesteckt."
Die Militanten haben umgerechnet 350 Millionen Euro erbeutet
Was die Flüchtlinge im Lager Khallak nahe der Kurden-Hauptstadt Erbil über die radikalislamischen Kämpfer erzählen, die vergangene Woche eine modern bewaffnete Armee im Handstreich in die Flucht geschlagen und Teile des Nordirak erobert haben, klingt eindeutig. Die Militanten haben in Mossul zudem Banken überfallen, umgerechnet 350 Millionen Euro Bargeld erbeutet.
Isis dürfte nun die reichste Terrorgruppe weltweit sein, kann ihre Kriege im Irak und in Syrien auf Jahre finanzieren. Die Dschihadisten der Terrorgruppe, die in der Langfassung "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" heißt, wollen nun nach Bagdad, bedrohen die irakische Regierung, die Herrschaft der Schiiten über den Irak.
Vieles spricht allerdings dafür, dass sich hinter dem Isis-Terrorfeldzug mehr verbirgt als der Überraschungsschlag von ein paar Tausend Dschihadisten gegen die Bagdader Regierung. Der irakische Kurdenpolitiker Salah Delo, Mitglied des Politbüros der in Erbil herrschenden Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) sagte der SZ in Kirkuk: "Das ist nicht allein Isis. Neben Dschihadisten sind es Baathisten, alte Saddam-Getreue. Dazu Stammesleute und Teile der Bevölkerung von Mossul. Ein anderer ranghoher Kurdenpolitiker geht weiter: "Das ist nicht nur Terror. Das ist ein sunnitischer Aufstand gegen Maliki, gegen die Schiitenherrschaft in Bagdad."
Was im Januar in der von Isis-Kämpfern besetzten Stadt Falludscha begann und in Mossul zum Tragen kam, erscheint gut geplant finanziert. Dass Isis-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi der alleinige strategische Kopf ist, mutet unwahrscheinlich an.
Kurdenpolitiker vermuten Izzet Ibrahim al-Duri als Mastermind hinter der Offensive der Sunni-Militanten. Duri war Saddam Husseins Vizepräsident, als Stellvertreter des Diktators ein Schwergewicht in Saddams Baath-Partei, in der Armee. Er wäre der ideale Mann, die Sunniten zu einen. Der Offizier war von Anfang an im Widerstand gegen die US-Besatzer. Der 71-Jährige gilt als strengst-frommer Muslim. Er kennt die Führer und Scheichs der mächtigen sunnitischen Stämme, ist aber auch überzeugter Baathist.