Justiz:Hohe Gewalt

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Fatou Bensouda war seit 2012 ICC-Chefanklägerin. (Foto: Eva Plevier/Reuters)

Auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshof sitzen Ex-Staatsoberhäupter, Warlords, hochrangige Militärs. Erstmalig wird nun der Chefankläger per Wahl bestimmt - der Brite Karim Khan setzt sich durch.

Von Andrea Bachstein, München

Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriffskrieg, die gewaltigsten, grauenhaftesten Akte, welche die Menschheit kennt, deren Einzelheiten sind Alltag des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in Den Haag.

Diese Posten hat künftig der 60-jährige Brite Karim A. A. Kahn. Khan wurde im zweiten Wahlgang mit 72 Stimmen gewählt. Jahrelange Verfahren erwarten ihn, und das Weltgericht am Haager Oude Waalsdorperweg steht oft vor politisch vermintem Terrain.

Nichts Neues für Kahn, der ein Vierteljahrhundert internationaler Erfahrung aus ganz großen Verfahren mitbringt. Zuletzt als Chef des UN-Teams Unitad, das IS-Taten im Irak untersucht. Khan war zuvor beim Internationalen Strafgerichtshof für Ex-Jugoslawien tätig, beim Internationalen Strafgerichtshof, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ruanda verfolgte. Sondergerichte in Libanon, Sierra Leone und Kambodscha, wo es um die Gräueltaten der Roten Khmer ging, waren weitere Stationen.

Wiederholt stand er als Anwalt vor dem ICC. Bei einer Bestattung von IS-Opfern im Irak sagte Khan, worum es ihm geht: "Wir müssen die Verantwortlichen für diese Taten identifizieren, und Ihnen - Opfern, Überlebenden, Zeugen - zu erlauben, dass eines Tages vor Gericht den Tätern gegenüberstehen und den Richtern ermöglichen, deren strafrechtliche Verantwortung zu beurteilen."

Die Mitglieder konnten sich erstmals nicht auf einen Kandidaten einigen

Erstmals wurde der Chefankläger des seit 2002 existierenden ICC per Wahl bestimmt. Neun Jahre hatte den Posten die gambische Juristin Fatou Bensouda, auf sie und Vorgänger Luis Moreno Ocampo einigten sich die Mitgliedsstaaten. Diesmal gab es keine Einigung, Vertreter der derzeit 123 Mitgliedsstaaten stimmten am Freitag ab, vier Kandidaten waren zuletzt übrig aus zehn Nominierungsrunden.

Man darf davon ausgehen, dass diese Findung mit politischem Gerangel zu tun hat und teilweiser Unzufriedenheit mit dem Weltgericht. Kritiker sagen, dessen Apparat mit 900 Mitarbeitern aus rund 100 Ländern sei zu schwerfällig, zu teuer.

In 18 Jahren gab es neun Verurteilungen und vier Freisprüche, nach Zahlen eine bescheidene Bilanz. Der deutsche ICC-Richter Bertram Schmitt sagte vor einiger Zeit der SZ: "Wir können nur eine winzige Stichprobe der weltweiten Menschheitsverbrechen in Den Haag anklagen." Doch die Verfahren verhandeln Taten, deren Opfer in die Zehntausende gehen können. Staatsoberhäupter, höchste Militärs, Warlords kommen dank des ICC auf die Anklagebank. So wurde vergangene Woche erstmals ein Führer der zentralafrikanischen "Widerstandsarmee des Herrn" schuldig gesprochen.

Was der ICC kann, hängt ab von der Mitarbeit der Mitgliedsstaaten, in denen die Verbrechen geschahen oder aus denen Beschuldigte kommen. Das Weltgericht beruht auf dem völkerrechtlichen Römischen Statut von 1998. Danach ist es zuständig, wenn Mitgliedsstaaten mit ihrer Justiz diese schwersten Verbrechen nicht verfolgen können oder wollen. Spielen die Mitglieder nicht mit, ist das Gericht machtlos.

Wie im Fall Omar al-Baschirs, mittlerweile Ex-Diktator des Sudan, gegen den seit 2010 ein ICC-Haftbefehl bestand. Das Mitgliedsland Südafrika hatte beste Gelegenheit, ihn Den Haag auszuliefern, sorgte aber dafür, dass er entkam.

USA, Russland und China verweigern sich dem Gericht

Ohnmächtig ist das Tribunal erst recht bei Ländern, die nicht ICC-Mitglied sind, in denen aber Kriegsverbrechen vor den Augen der Welt geschehen, wie etwa in Syrien. Das schadet der Glaubwürdigkeit des ICC, dessen wohl größtes Manko ist, dass USA, China und Russland ihm nicht angehören.

Dafür kann der ICC nichts, bekommt aber immer wieder vorgehalten, er zeige nur bei schwächeren Staaten Stärke. Häufigster Vorwurf ist, das Weltgericht verfolge nur Verbrechen in und Täter aus Afrika. Afrikanische Länder drohten, sich zu verabschieden, von Neokolonialismus war die Rede - dabei kommen außer der bisherigen Chefanklägerin der ICC-Präsident Chile Eboe-Osuji mehrere Richter aus Afrika.

Die meisten der 13 derzeitigen Ermittlungsverfahren betreffen wieder Afrika, aber auf der Liste stehen auch Georgien, Myanmar und seit kurzem Afghanistan. Letzteres bedeutet, dass nun auch Anschuldigungen gegen US-Staatsbürger untersucht werden sollen, das ist zumindest ein Signal. Und im Januar teilte der ICC mit, er sehe sich als zuständig an für Israel und die Palästinenser-Gebiete.

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