Urteil:Acht Monate Bewährung nach Böllerwurf auf Polizisten

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Der Angeklagte (M) kommt in den Gerichtssaal des Kriminalgericht Moabit. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Angriffe auf Polizisten und Feuerwehrleute in der Silvesternacht haben in diesem Jahr für viel Diskussion gesorgt. Aus der Politik gab es Forderungen nach schnellen und harten Strafen. Nun hat ein Berliner Gericht entschieden.

Von Anne Baum und Marion van der Kraats, dpa

Berlin (dpa/bb) - Nach den Silvester-Krawallen mit massiven Angriffen auf Rettungskräfte und Polizisten in Berlin ist ein 23-Jähriger zu acht Monaten Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten sah es als erwiesen an, dass der junge Mann in der Silvesternacht absichtlich einen Böller in Richtung eines Polizisten warf. Der Angeklagte hatte zugegeben, einen Knaller geworfen zu haben. Dieser sei aber versehentlich vor dem Polizisten gelandet. Einen gezielten Angriff bestritt er. Richter Stephan Markmiller folgte jedoch den Schilderungen des Polizisten und schloss ein Versehen aus.

„Es war eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“, sagte Markmiller. Das Verhalten sei jedoch im Zusammenhang mit einer Situation zu bewerten, in der es ohnehin schon hoch her gegangen sei. Der Richter verurteilte den 23-Jährigen wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung.

Zudem legte er fest, dass der junge Mann ohne Schulabschluss und aktuelle Beschäftigung 50 Sozialstunden in einer gemeinnützigen Einrichtung leisten muss. Der 23-Jährige ist in der Vergangenheit vor allem als Jugendlicher mehrfach aufgefallen wegen verschiedener Straftaten, zuletzt auch wegen Körperverletzung und Beleidigung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Christian Korn hatte einen Freispruch beantragt. Er halte eine Berufung für angebracht, müsse das aber mit seinem Mandanten besprechen, sagte Korn nach der Urteilsverkündung. Er halte die Entscheidung zwar für vertretbar, letztlich sei es aber ein generalpräventives Urteil und es stehe Aussage gegen Aussage. „Dieser Fall eignet sich nicht als Exempel für die Silvester-Vorfälle“, betonte Korn.

Laut Anklage war der Böller vor den Füßen eines 36 Jahre alten Polizisten gelandet, der zur Unterstützung der Feuerwehr beim Löschen eines Brandes in Berlin-Wedding war. Vorangegangen waren Angriffe auf Einsatzkräfte, von einem Funkwagen waren nach den Schilderungen die Scheiben zertrümmert. Der Polizist blieb unverletzt. Er habe den Böller geistesgegenwärtig weggekickt, so die Staatsanwaltschaft.

Vor Gericht schilderte der Beamte, der Böller sei zwischen seinen Beinen gelandet. Er glaube nicht, dass der Böllerwurf aus Versehen geschah, meinte der Polizist. Seine Kollegin berichtete von einer sechs- bis siebenköpfigen Gruppe, die hin- und hergelaufen sei und aus der es Böllerwürfe gegeben habe. Einen Böllerwurf des Angeklagten habe sie jedoch nicht gesehen.

Dieser beteuerte: „Wäre es Absicht gewesen, hätte ich wegrennen können.“ Der gebürtige Würzburger gab an, mit seiner Familie auf der Straße im Stadtteil Gesundbrunnen und etwas alkoholisiert gewesen zu sein. Er selbst habe keine Feuerwerkskörper gekauft. Den Böller habe er aus einem Paket genommen, schilderte der 23-Jährige.

Er entschuldigte sich vor Gericht erneut bei dem Polizisten. Was dieser jedoch nicht annahm: „In der Nacht ist so viel passiert und Sie waren ein Teil davon“, sagte der 36-Jährige im Gerichtssaal.

Das Verfahren gegen den 23-Jährigen war der erste öffentliche Prozess im Zusammenhang mit den Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte zum Jahreswechsel. Seit Mitte Mai steht ein 16-Jähriger wegen vergleichbarer Vorwürfe vor dem Amtsgericht Tiergarten - wegen seines jugendlichen Alters ist der Prozess nicht öffentlich. In dem Fall könnte es nach Angaben von Gerichtssprecherin Lisa Jani am Mittwoch ein Urteil geben.

Auch Staatsanwalt Uwe Storm hatte den Aspekt einer abschreckenden Bestrafung in seinem Plädoyer angesprochen. Angriffe auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten gebe es seit Jahren, insbesondere in der Silvesternacht. „Bislang hat es offensichtlich keinen richtig gekümmert“, meinte Storm. Die Frage sei, ob die Fälle aus präventiven Gründen nicht anders behandelt werden müssten. Zwar stehe letztlich Aussage gegen Aussage, doch er halte die Angaben des Polizisten für glaubwürdig.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich zufrieden. „Der Rechtsstaat beweist Handlungsfähigkeit. Wir freuen uns, dass eine Reihe der Silvesterangreifer halbwegs zeitnah für die Taten zu Verantwortung gezogen wird“, sagte GdP-Landeschef Stephan Weh. Das sei unter anderem dank der vielen Bilder bei Social Media möglich.

Laut Gerichtssprecherin Jani sind derzeit weitere fünf Prozesse zu den Krawallen Ende Juni sowie im Juli und August geplant. Zudem wurden einige Fälle per Strafbefehl - also ohne mündliche Verhandlung - geahndet. Dabei sei es beispielsweise um Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz gegangen.

Die Fälle zu den Silvester-Krawallen werden bei der Staatsanwaltschaft von einer Abteilung bearbeitet, die sich schwerpunktmäßig mit Gewalttaten im Rahmen von sportlichen Großveranstaltungen befasst. Dies soll zu einer zügigen Bearbeitung der Fälle beitragen, die nach den Vorfällen von vielen Politikern gefordert worden war.

Die Behörde hat nach eigenen Angaben inzwischen in 18 Fällen Anklage erhoben und etwa ein Dutzend Strafbefehle beantragt. Die Vorwürfe gegen die Beschuldigten im Alter von 18 bis 48 Jahren lauten demnach tätlicher Angriff, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung sowie Verstoß gegen das Waffen- und das Sprengstoffgesetz. Insgesamt liegen der Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 110 Verfahren vor. Weitere Fälle werden noch von der Polizei bearbeitet.

Bei Gericht werden derartige Statistiken nach Angaben von Sprecherin Jani nicht geführt. Es gebe auch keine klare Definition dazu, welche Vorfälle zu der Thematik gehörten. Bewertungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts fielen mitunter unterschiedlich aus, so die Sprecherin. Im Zusammenhang mit Silvester gebe es allerdings regelmäßig vergleichbare Verfahren am Amtsgericht.

© dpa-infocom, dpa:230606-99-957636/4

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