Staatliche Hilfen:Plus für Mindestlöhner, Minus für Familien

Lesezeit: 2 min

Familien mit zwei Kindern, in denen beide Elternteile arbeiten gehen, müssen die größten Verluste durch die Preissteigerungen hinnehmen. (Foto: Frederik Franz/Imago)

Fast 300 Milliarden Euro zahlt die Bundesregierung, um die Bürger angesichts stark gestiegener Preise zu entlasten. Die Haushalte profitieren davon sehr unterschiedlich. Das spüren insbesondere Familien.

Von Roland Preuß, Berlin

Man kann vor lauter Entlastungspaketen leicht den Überblick verlieren. Auf der Stromabrechnung wird die staatliche Preisbremse berücksichtigt, die Familienkasse überweist seit Jahresbeginn mehr Kindergeld, und Beschäftigten sowie Rentnern ließen Olaf Scholz und seine Ampelkoalitionäre 300 Euro Energiepreispauschale zukommen. Auf insgesamt fast 300 Milliarden Euro beziffert die Bundesregierung die Summe der Entlastungspakete, die sie gegen teuren Sprit, Gas und Heizöl, gegen höhere Lebensmittelpreise und ähnliche Lasten einsetzt.

Inwiefern aber haben Scholz' "Doppel-Wumms" und weitere Hilfen gewirkt? Haben sie die Preissteigerungen ausgeglichen und wenn ja, für wen? Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat die Wirkung der diversen Zuschüsse, Preisbremsen und Steuererleichterungen untersucht und am Donnerstag seine Berechnungen vorgelegt. Ergebnis: Die Unterstützung habe die Bürger massiv entlastet und den Verlust an Kaufkraft "spürbar begrenzt", erklären die IMK-Forschenden Sebastian Dullien, Katja Rietzler und Silke Tober.

Menschen, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, profitieren

Allerdings hätten die meisten Haushalte im vergangenen und in diesem Jahr nach Berücksichtigung der Preissteigerungen trotzdem deutlich weniger Geld zur Verfügung. "In vielen Arbeitnehmenden-Haushalten fallen die Nettoeinkommen 2023 nach Abzug der Teuerung um gut zwei bis gut drei Prozent niedriger aus als 2021", also dem Jahr vor der russischen Invasion in die Ukraine, schreiben die Autoren.

Außerdem haben die staatlichen Hilfen bei den jeweiligen Haushalten unterschiedlich gewirkt. Am besten kommen laut IMK Menschen weg, die Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, ein Single hat unter dem Strich im Vergleich zu 2021 im Durchschnitt 1353 Euro oder 7,8 Prozent mehr Geld zur Verfügung. Das geht vor allem auf die deutliche Erhöhung des Mindestlohnes von 9,82 Euro pro Stunde Anfang 2022 auf zwölf Euro zum 1. Oktober 2022 zurück. Diese Anhebung war allerdings bereits vor den starken Preissteigerungen geplant gewesen.

Die IMK-Fachleute haben die Entlastungen für 13 Haushaltstypen durchgerechnet, vom alleinstehenden Geringverdiener bis zum Single mit einem Spitzeneinkommen von brutto rund 144 500 Euro. Die größten Verluste durch die Preissteigerungen müssen demnach Familien mit zwei Kindern hinnehmen, in denen beide Elternteile arbeiten gehen - und zwar trotz höheren Kindergeldes und trotz niedrigerer Steuersätze auf Einkommen durch den Ausgleich der sogenannten kalten Progression, die dazu führt, dass man trotz Lohnerhöhung wegen eines höheren Steuersatzes und Preissteigerungen real weniger Kaufkraft hat. Ein Gutverdiener-Paar mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von rund 146 500 Euro muss demnach dieses Jahr mit 2078 Euro weniger auskommen als 2021, eine Zwei-Kind-Familie bei gut 81 000 Euro mit einem Minus von 1747 Euro.

Wirtschaft
:Hohe Inflation lässt Reallöhne erneut sinken

Obwohl die Gehälter steigen, bleibt weniger Geld übrig: Der Anstieg der Verbraucherpreise im ersten Quartal führt bei den Reallöhnen zu einem Minus von 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Eine wichtige Rolle spielt der Ausgleich der kalten Progression

Der alleinstehende Spitzenverdiener mit rund 144 500 Euro Jahreseinkommen dagegen kommt im Vergleich zu 2021 mit einem Kaufkraftverlust von 461 Euro davon. Eine wichtige Rolle für diese Lastenverteilung spielt der Ausgleich der kalten Progression; die vor allem von Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorangetriebene Steuererleichterung beschert Spitzenverdienern das größte Plus. Hinzu kommt, dass sehr gut verdienende Singles typischerweise vergleichsweise wenig für Heizen und Lebensmittel ausgeben, also für die Dinge, deren Preis seit 2021 besonders stark gestiegen ist.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Der steuer- und abgabenfreien Prämie von bis zu 3000 Euro bescheinigen die IMK-Forschenden einen "erheblichen Beitrag zur Kaufkraftstabilisierung". Die Prämie war von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Bundesregierung in der "konzertierten Aktion" beschlossen worden, sie ist Teil vieler Tarifverträge. Allerdings sind die Zahlungen nur einmalig und damit kein dauerhafter Ausgleich für die höheren Verbraucherpreise. Die steigen weiter, im Mai lag die Inflation bei 6,1 Prozent.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungKonjunktur
:Wie sich die Rezession bekämpfen lässt

Die deutsche Wirtschaft schrumpft. Aber es besteht kein Anlass zur Panik - sofern Bundesregierung und Europäische Zentralbank jetzt ihren Job richtig erledigen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: