Südasien:Mit Fälschern und Wächtern in den Wahlkampf

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Kinder tragen Masken von Premierminister Narendra Modi, bei einer Wahlkampfveranstaltung im indischen Anand. (Foto: Amit Dave/REUTERS)

Indiens Regierung und die Opposition werfen sich gegenseitig Manipulationen in den sozialen Netzwerken vor. Über ein Rennen, in dem auch die KI eine wachsende Rolle spielt.

Von David Pfeifer, Delhi

Es ist erstaunlich ruhig in Delhi, dafür dass in Indien der Wahlkampf auf der höchsten Hitzestufe läuft. Seit dem 19. April dürfen 968 Millionen Inderinnen und Inder ihre Stimme abgeben, in der allein etwa 35 Millionen Einwohner zählenden Metropolregion Delhi wird erst am 25. Mai abgestimmt. Derzeit sind die Kandidaten in den Bundesstaaten unterwegs, in denen vorher gewählt wird. Vor allem aber spielt sich viel Wahlkampf mit Hetze und Häme in den sozialen Netzwerken ab.

Videos, die mithilfe künstlicher Intelligenz hergestellt oder manipuliert wurden, kursieren auf allen Platzformen, von X bis Youtube. Bei mehr als 800 Millionen Internetnutzern ist die Bekämpfung der Verbreitung von Fehlinformationen eine kaum zu lösende Aufgabe.

Vergangene Woche verhaftete die Polizei neun Personen in den Bundesstaaten Assam, Gujarat, Telangana und Delhi. Sechs davon waren Mitglieder von Social-Media-Teams der oppositionellen Kongresspartei. Sie hatten angeblich Clips gefälscht, in denen Bollywood-Schauspieler Premierminister Narendra Modi kritisieren. Verbreitet wird derzeit auch ein Video, das den Innenminister Amit Shah dabei zeigt, wie er ankündigt, dass die regierende Bharatiya Janata Partei (BJP) soziale Leistungen für Minderheiten streichen wird, sollte sie an der Macht bleiben.

Modi, dargestellt als eine Art Superheld

Modi, Shah und andere BJP-Kandidaten hatten bei Wahlkampfauftritten behauptet, die Opposition würde den Reichtum des Landes an die muslimische Minderheit umverteilen wollen. Modi sprach im Zusammenhang mit den manipulierten Videos von "Aussagen, an die wir nie gedacht haben", und nannte sie eine Verschwörung, "um Spannungen in der Gesellschaft zu erzeugen". Ein offizieller Clip zeigt Modi allerdings selbst als Comicfigur, eine Art Superheld, der als einziger gegen die Ausbeutung des Landes durch die Muslime vorgeht. Belege für die Ausbeutungsthese liefert der Cartoon keine.

Innenminister Shah veröffentlichte als Reaktion auf die Fälschung seine Originalrede und behauptete, dass die Kongresspartei hinter dem Fake stehe, "die Polizei wurde angewiesen, sich mit diesem Problem zu befassen", sagte Shah laut der Nachrichtenagentur Reuters. Die Opposition wiederum wirft der BJP-Regierung vor, ihre Macht auszunutzen, um den Wahlkampf massiv zu beeinflussen. Der Kongresspartei wurden wenige Wochen vor der Wahl Konten eingefroren, wegen einer ungeklärten Steuerschuld; das bereitet der Partei erhebliche Probleme im kostspieligen Wahlkampf. Arvind Kejriwal, der populäre und oppositionelle Chefminister von Delhi, wurde kurz vor Beginn der Wahlen aufgrund von Korruptionsvorwürfen eingesperrt.

In Delhi fand am vergangenen Freitag auch die spektakulärste Verhaftung statt. Die für Internetkriminalität zuständige Einheit der Polizei nahm den nationalen Social-Media-Koordinator der Kongresspartei, Arun Reddy, wegen der Verbreitung des gefälschten Shah-Videos fest. In Delhi kontrolliert Shahs Ministerium die Polizei direkt. Der Kongressabgeordnete Manickam Tagore sagte, die Verhaftung sei ein Beispiel für "autoritären Machtmissbrauch durch das Regime".

In Uttar Pradesh ist permanent Wahlkampf

Die BJP-Regierung hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Gesetze erlassen, um hart gegen Meldungen auf den Social-Media-Plattformen vorzugehen, die sie für falsch oder aufrührerisch hält. Die Gesetze wurden von den Betreibern und der Opposition scharf kritisiert. Die BJP selbst betreibt ein riesiges Social-Media-Team, das Inhalte wie den Modi-Cartoon produziert und verbreitet.

Ein weiteres gefälschtes Video aus der vergangenen Woche zeigt Yogi Adityanath, Chefminister von Uttar Pradesh, ebenfalls BJP, der Modi dafür kritisiert, nicht genug für die Familien derjenigen zu tun, die 2019 bei Protesten ums Leben gekommen waren. Uttar Pradesh ist mit mehr als 220 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste indische Bundesstaat, dort wird in jeder der sieben Wahlphasen abgestimmt, es ist also permanent Wahlkampf. Mehr als 500 Personen überwachen allein in diesem Bundesstaat die Online-Inhalte und fordern die Social-Media-Unternehmen bei Bedarf auf, sie zu entfernen.

Protest der indischen Ringerinnen

Yogi Adityanath gilt als potenzieller Nachfolger Modis. Obwohl das Video laut Faktenprüfern aus verschiedenen Teilen eines Originalclips erstellt wurde, bezeichnete die Polizei es als "KI-generierte Fälschung", wie Reuters berichtet. Was wahr ist und was gefälscht oder nur behauptet wird, lässt sich in diesem Wahlkampf nur schwer feststellen.

Überaus klar und konkret ist der Protest, den die indischen Ringerinnen ausdrücken. Vergangenes Jahr demonstrierten sie wochenlang in einem Camp in der Nähe des neuen Parlaments in Delhi, um die Absetzung des Verbandschefs Brij Bhushan Sharan Singh zu erreichen, dem eine ganze Reihe von Ringerinnen sexuelle Belästigung und Übergriffe vorwerfen. Singh ist gleichzeitig Abgeordneter der BJP, ein Stimmenbringer. Nun hat die Partei seinen Sohn Karan als Nachfolger nominiert, er kandidiert im Wahlkreis Kaiserganj in Uttar Pradesh, den der Vater bereits sechs Mal gewonnen hat.

Machtübergabe im Stil von Feudalherren ist in Südasien zwar nicht ungewöhnlich, aber in diesem Fall sind die Athletinnen mit einem Personalwechsel nicht ruhigzustellen. "Die Töchter des Landes haben verloren, Brij Bhushan hat gewonnen", postete Sakshi Malik, Bronzemedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Malik hatte ihrem Sport aus Protest im vergangenen Jahr den breiten Rücken gekehrt. Ihr Kollege Bajrang Punia schrieb am vergangenen Donnerstag, "es ist das Unglück des Landes, dass Töchter, die Medaillen gewinnen, auf die Straße gezerrt werden, und der Sohn der Person, die sie sexuell ausbeutet, geehrt wird, indem man ihm ein Ticket gibt".

Aufgrund der bisher geringeren Wahlbeteiligung macht sich die BJP Sorgen, ihr gesetztes Ziel von 400 Mandaten im nächsten Parlament womöglich nicht zu erreichen. Auch das heizt den Wahlkampf weiter an.

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