Indien:Modi gegen das Leuchten der Gandhis

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Priyanka Gandhi auf Wahlkampf-Tour: Die charismatische Politikerin könnte Premier Modi gefährlich werden. (Foto: Getty Images)

900 Millionen Wahlberechtigte, Abstimmungen über mehrere Wochen - Indien, größte Demokratie der Welt, wählt ein Parlament. Premier Modi muss um seine Mehrheit bangen, eine alte Dynastie drängt zurück an die Macht.

Von Arne Perras, Musafirkhana

Trommler ziehen die Straße entlang, ihre dumpfen Schläge hallen über den Asphalt. Frauen in festlichen Saris säumen den Wegesrand, ein zahnloser Greis humpelt über die Fahrbahn, er schwenkt die Fahne der Kongresspartei. So groß ist das Gedränge in der Hitze von Amethi, dass der weiße Toyota mit den verdunkelten Scheiben und dem Schild "Party Car No 1" nur im Schritttempo rollt.

Dutzende Männer laufen schreiend neben dem Auto her, schubsen und drängeln, um möglichst nahe heranzukommen. Dann hält der Wagen, eine hochgewachsene Frau im blauen Sari steigt aus, schmales Gesicht, wache Augen, kurzes welliges Haar. Bodyguards mit Sonnenbrillen schirmen sie ab, sie hebt die Hand und winkt. "Lang lebe Priyanka Gandhi," brüllen die Fans. Sekunden später ist sie wieder in den Wagen abgetaucht, der Konvoi rollt weiter und die Leute kreischen, als wären sie gerade Zeugen einer Erscheinung geworden.

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Wird diese Frau den hindu-nationalistischen Premier Narendra Modi das Fürchten lehren? Wahlkampf in Indien, Stimmung wie im Karneval. Der Amethi-Distrikt ist die Hochburg des Gandhi-Clans. Seit der Unabhängigkeit hat diese Dynastie die Politik des Subkontinents dominiert, bevor sie 2014 vernichtend durch den Aufsteiger Modi geschlagen wurde. Nun will die Kongresspartei die Macht zurückerobern. Und dafür schickt sie nicht nur Rahul Gandhi als Kandidaten für den Posten des Premiers ins Rennen. Auch Schwester Priyanka mischt im Wahlkampf mit. Diese Frau ist weitaus charismatischer als ihr Bruder, weshalb sie als der gefährlichere Gegner für die Hindu-Nationalisten gilt.

Modis Macht wird erst ins Wanken geraten, wenn die Kongresspartei neue Popularität gewinnt und ein breites Bündnis gegen den Amtsinhaber schmiedet. In Indien nennen sie das Modell: Modi gegen alle anderen. Es ist das einzig denkbare Szenario, das seinen Gegnern den Sieg sichern könnte. Dafür muss die Kongresspartei nicht zwingend stärkste Kraft werden, aber doch deutlich besser abschneiden als 2014.

Belastbare Prognosen gibt es nicht

An diesem Donnerstag geht es los, bis zum 19. Mai werden die Inder in mehreren Phasen ein neues Parlament wählen, das dann den Premier bestimmt. Alle fünf Jahre ist das der größte demokratische Kraftakt, den die Welt kennt, 900 Millionen Menschen sind stimmberechtigt, belastbare Prognosen gibt es nicht.

Sicher ist nur, dass es Modi nicht so leicht haben wird wie 2014, als er der Kongresspartei die schlimmste Niederlage ihrer Geschichte zufügte und sich den Nimbus eines Unbesiegbaren erwarb. Dieser Ruf hat sich nach fünf Jahren stark abgeschliffen, der Premier hat Fehler gemacht, Versprechen nicht eingelöst, seine Partei erlitt bei regionalen Wahlen Verluste. Und nun muss es Modi auch noch mit der Strahlkraft einer Priyanka Gandhi aufnehmen.

Andererseits: Modi tut nun wieder das, was er am besten kann: zu den Massen reden, so wie vor wenigen Tagen auf einem Feld in Meerut, es war der Auftakt seiner Wahlkampftour. 151 Auftritte in 51 Tagen, das ist sein Plan. Kreuz und quer tourt er mit dem Hubschrauber durchs Land, morgens, mittags, abends, nichts als Reden.

Modi spricht vor allem über: Modi. 2014 hat er sich noch als Teeverkäufer in Szene gesetzt, damit konnte er die Botschaft verbreiten, dass man es auch in Indien von unten nach oben schaffen kann. 2019 hat er sein Label geändert, jetzt nennt er sich "Chowkidar", das bedeutet "Wächter". In Meerut können alle den Premier live im Fernsehen verfolgen, sie sehen Modi in weißer Kurta und brauner Jacke, er ist weniger locker als sonst, seine Stimme klingt angespannt, manchmal gar zornig, wenn er über die Opposition herzieht.

Modi spricht langsam und wortgewaltig, setzt geschickt Pausen, macht kraftvolle Gesten. Öfter als sonst klopft er sich mit der Linken auf die Brust, alle sollen hören, was er als seine größten Leistungen betrachtet. Er zählt sie nacheinander auf, Bankkonten für die Armen, Krankenversicherungen, Farmerhilfen, Zuschüsse für Eigenheime, Toiletten. "Ich habe das alles gemacht", ruft Modi.

Das politische Feld teilt er in zwei Lager. Auf der einen Seite Modi, der dafür sorgt, dass das neue Indien, das er ausrief, gedeihen kann. Auf der anderen Seite jene Politiker, die keinen Plan hätten, nichts geschaffen hätten und korrupt seien. Modi weiß, dass er von vielen einfachen Leuten noch immer als Mann verehrt wird, der sich - soweit man weiß - nichts in die eigene Tasche stopft, hinter dem keine gierige Familie steht. Er pflegt das Bild des selbstlosen Premiers. "Ich habe nichts", sagt er. "Ihr seid mein Kapital", ruft er. Das kommt an.

Das Bild vom Wächter hat Modi wohl gewählt, weil es in die aufgeladenen Zeiten passt, in denen Indien und Pakistan zuletzt beinahe Krieg gegeneinander geführt hätten. Nach dem islamistischen Terror in Kaschmir gingen die Emotionen hoch. Modi versucht, diese Gefühle wachzuhalten, er lobt die indischen Märtyrer, womit er die Soldaten meint, die in Kaschmir durch den Terror im Februar starben. Er spricht stolz über seinen Vergeltungsschlag, attackiert Zweifler, behauptet, sie führten einen Wettbewerb um die Freundschaft Pakistans. Dann donnert er: "Braucht unser Land indische Helden oder pakistanische Helden?" So betankt der Premier seine Auftritte, in der Hoffnung, dass ihm dies die Stimmen für eine zweite Amtszeit sichert.

Und Priyanka Gandhi? Mit Modi hat sie gemein, dass sie vom Charisma getragen wird, nur auf ganz andere Art. Priyanka berühre die Herzen, sagen ihre Anhänger, sie schafft Nähe zu jenen, die sich abgehängt fühlten, und sie trifft dabei einen einfühlsamen Ton. Priyanka verkörpert immer mehr den Kontrast zum Kraftprotz-Premier, wenn sie das Elend der Farmer und die Arbeitslosigkeit anprangert. Sie versucht, Modi zu entzaubern, klingt dabei aber nicht bösartig oder diffamierend.

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Wohin Priyanka auch kommt, Scheinwerfer sind auf sie gerichtet, ein Leben, das sie bisher gescheut hat. Das liegt auch an der traumatischen Geschichte ihrer Familie, sie hat ihren Vater und ihre Großmutter bei Attentaten verloren. Beide waren indische Premiers, die Morde haben die Familie gezeichnet, der Name Gandhi ist seither mit einem Opfermythos verknüpft. In der Kongresspartei weiß man aber auch, dass dieser Mythos sehr zum Ansehen und zur Bewunderung der Gandhis beiträgt.

An einem Abend Ende März antwortet Priyanka Gandhi im Hof einer Schule auf Fragen von Journalisten. Man möchte wissen, ob sie sich nun als Vollzeitpolitikerin versteht? "Ja natürlich", sagt Priyanka Gandhi, "das ist offenkundig." Älteren Wählern vermittelt sie ein Déjà-vu-Erlebnis; ihr Gesicht, ihre Gesten erinnern viele an die legendäre Großmutter, Indira Gandhi, die erste Frau, die den Subkontinent führte, die allerdings auch eine Zeit lang mit Notstandsgesetzen regierte und von ihren Bodyguards ermordet wurde.

Junge Inder haben das nicht mehr erlebt, dennoch begeistert Priyanka auch sie, wie es die verkrustete Kongresspartei lange nicht erlebt hat. Nur eine Schwäche könnte ihr zusetzen, sie ist mit dem Unternehmer Robert Vadra verheiratet, der im Verdacht steht, in zwielichtige Immobiliengeschäfte verwickelt zu sein. Modi vermeidet es bisher, Priyanka Gandhi offen zu attackieren, aber die Schonzeit könnte bald enden, da die Geschwister Gandhi wieder den Willen zur Macht zeigen.

© SZ vom 10.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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