Einrichtungsbezogene Impfpflicht:Ein Gesetz, das kaum Folgen hat

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Pflegekräfte kommen den Bewohnern nah. Doch das gilt auch für Angehörige, für die keine Impfpflicht gilt. Und das ärgert manche. (Foto: Kzenon/imago/Panthermedia)

In der Praxis werden ungeimpfte Mitarbeiter noch immer in der Pflege eingesetzt. Viele Arbeitgeber warten, bis das Gesundheitsamt ein Beschäftigungsverbot ausspricht - und das kann dauern.

Von Michaela Schwinn und Patrick Wehner, München

Von Kündigungswellen war die Rede, von Notstand und einer Katastrophe. Durch die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen würde das Gesundheitssystem endgültig kollabieren, warnten Kritiker noch Anfang des Jahres. Dass es nicht so weit kommen würde, zeigte sich schon kurz vor ihrer Einführung Mitte März: Heimleiter und Klinikvorstände gaben sich entspannt, die meisten Mitarbeiter seien bereits geimpft, hieß es da, oder: "Die paar Ungeimpften können wir verkraften." Und die Impfpflicht scheint auch noch den ein oder anderen von der Spritze überzeugt zu haben - das zeigen auch die offiziellen Zahlen der Bundesländer: In den meisten sind weit über 90 Prozent der Mitarbeiter im Gesundheitsbereich geimpft.

Was aber passiert mit denjenigen Ärzten, Pflegekräften und Klinikköchen, die weder geimpft noch genesen sind? Allein in Bayern sind es laut Ministerium mehr als 40 000. Wurden sie sanktioniert und wenn ja, wie? Es ist nicht einfach, dieser Frage nachzugehen, denn einheitliche Regeln gibt es kaum. Im Gesetz steht lediglich, die Behörden "können" ein Betretungsverbot für die Mitarbeiter aussprechen. In der Praxis liegt vieles im Ermessensspielraum der jeweiligen Gesundheitsämter.

Grundsätzlich scheinen die meisten Behörden aber sehr ähnlich vorzugehen: Zunächst melden die Kliniken, Heime oder Praxen den Gesundheitsämtern alle Mitarbeiter, die weder geimpft noch genesen sind. Werden innerhalb einer Frist keine Nachweise vorgelegt, müssen die gemeldeten Personen im Gesundheitsamt vorsprechen. Auch die Arbeitgeber dürfen sich dazu äußern. Danach folgt ein Abwägungsprozess: Gibt es Engpässe in der Einrichtung? Würde eine Freistellung die Versorgung gefährden? Erst am Ende dieses Verfahrens kann ein Betätigungs- oder Betretungsverbot ausgesprochen werden.

Zu diesem äußersten Mittel scheint es bisher allerdings noch nirgends gekommen zu sein. Das Ministerium in Baden-Württemberg weiß von keinem solchen Fall. Ein Sprecher verweist darauf, dass sich das ganze Verfahren ziehen könnte, weil bei jedem Schritt bestimmte Fristen eingehalten werden müssen. Aus Schleswig-Holstein heißt es, die "eingeleiteten Verfahren sind noch in Gange". In Niedersachsen wurde schon fast 200 Personen ein Bußgeld angedroht, ob die Beschäftigten freigestellt werden, liege aber "in der Hand des Arbeitgebers", so ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Auch Bayern habe bisher weder ein Bußgeldverfahren eingeleitet - noch Tätigkeitsverbote erlassen. Die Rede ist von "Augenmaß". Verstöße gegen die Impfpflicht sollen in Bayern zudem nur mit einem Bruchteil des möglichen Bußgeldes von 2500 Euro geahndet werden - nämlich mit maximal 300 Euro. Einen genauen Überblick scheinen die Landesministerien allerdings nicht zu haben - die meisten verweisen zurück an die Gesundheitsämter.

Dort haben die Mitarbeiter mit der Impfpflicht einiges zu tun: "Die Anschreiben gehen gerade stündlich raus", berichtet eine Sprecherin des Landkreises Gießen der Lokalzeitung. Und nicht alles läuft reibungslos in den Behörden: Viele der Angeschriebenen würden nicht auf die Briefe reagieren, andere Ungeimpfte wurden doppelt gemeldet, weil sie mehrere Arbeitgeber haben. Wieder andere schickten Atteste von Ärzten, die erst mal geprüft werden müssten. Auch gefälschte Impfnachweise seien dabei, welche an Ermittlungsorgane weitergeleitet werden, berichtet das Gesundheitsministerium in Niedersachsen. Das alles kostet Zeit.

Dirk Reinke jedenfalls rechnet nicht damit, dass er seine ungeimpften Mitarbeiter in Kürze freistellen muss. Er ist Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Oberlausitz, die Impfpflicht treffe alle von der Organisation betriebenen fünf Altenheime und zwei Pflegedienste von Görlitz bis zum Zittauer Gebirge, sagt er. Ungefähr 90 Angestellte musste Reinke melden, bisher wurden diese lediglich von den Behörden angeschrieben. Nun warte er, bis auch er sich dort äußern darf. Zu erzählen habe er nämlich viel, so Reinke: Über die ohnehin angespannte Lage, fehlende Pflegekräfte an allen Standorten und keinerlei Bewerbungen. "Dazu noch Beschäftigungsverbote? Das würde die Versorgungssicherheit völlig infrage stellen", sagt er.

Bis die Mitteilung vom Amt kommt, werden die Mitarbeiter weiter in der Pflege eingesetzt

Auch Franziska Buhn wartet noch. Die Einrichtungsleiterin der Seniorenwohnanlage am Hubland, einer Altenpflegeeinrichtung in Würzburg, habe schon vor einiger Zeit alle nicht geimpften Mitarbeiter ans Gesundheitsamt gemeldet, so wie es der Wunsch war. "Von da kam aber nie eine Rückmeldung", sagt Buhn. Und solange niemand etwas anderes sage, würden diese Mitarbeiter ganz normal weiterhin in der Pflege eingesetzt. Die insgesamt 115 Mitarbeiter des Hauses seien überwiegend geimpft. "Rund zehn Mitarbeiter wollten aber nicht. Die bleiben auch bei ihrer Meinung, die lassen sich nicht impfen", sagt sie.

Neben Bußgeldern und Freistellung scheint es aber auch noch andere Möglichkeiten zu geben, um Patienten und Bewohner zu schützen und ungeimpfte Pflegekräfte weiter zu beschäftigen: In Hamburg könnte man sich etwa vorstellen, dass Mitarbeiter Vollschutzanzüge tragen, wenn sie pflegen.

In der Schön-Klinik im Münchner Stadtteil Schwabing hat man die Auflagen für ungeimpftes Personal schon freiwillig verschärft: Neben einer FFP2-Maskenpflicht und einer Testpflicht für alle Mitarbeiter zweimal pro Woche würden für die ungeimpften Mitarbeiter strengere Regeln gelten. "Diese müssen sich täglich unter Aufsicht selbst testen", sagt Bettina Lyra, die für das Hygienemanagement zuständig ist. Die Angestellten hätten aber durchaus Verständnis dafür - die geimpften wie die ungeimpften.

In vielen Kliniken und Pflegeheimen scheint die Stimmung allerdings zu kippen. "Es war eine Riesenenttäuschung für mich und meine Mitarbeiter, dass die allgemeine Impfpflicht nicht kommt", sagt Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung. Er stehe zu 100 Prozent hinter der Impfpflicht in Kliniken und Pflegeheimen, begrüße sogar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aber die Motivation seiner Mitarbeiter sei seit der Entscheidung gegen die allgemeine Impfpflicht massiv gesunken: "Meine Pflegekräfte fragen sich: Warum soll ich mich ein drittes oder viertes Mal impfen lassen, wenn die Tochter oder der Sohn zu einer Bewohnerin kommen darf ganz ohne Impfung. Und die Pflegekraft muss eine Maske tragen, sich testen und impfen lassen." Er verlangt deshalb, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ausgesetzt wird - solange keine allgemeine eingeführt wird.

Schneider ist nicht allein mit seiner Forderung. In den vergangenen Wochen äußerten immer mehr Experten aus der Gesundheitsbranche Zweifel an der aktuellen Regelung: Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, spricht von einer "administrativen und arbeitsrechtlichen Baustelle". Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundeszahnärztekammer wollen die einrichtungsbezogene Impfpflicht aussetzen. Eine Forderung, deren Erfolg nach diesem Donnerstag als noch unwahrscheinlicher gilt: Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat die positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Teilimpfpflicht ausdrücklich begrüßt.

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