Corona:Im Zweifel für die Kranken

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Bereits Ende Dezember gab es deutschlandweit die ersten Impfungen für Ärzte und Pflegekräfte, vor allem mit engem Kontakt zu Corona-Patienten, wie hier im bayerischen Kaufbeuren. (Foto: Action Pictures/imago images)

Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Eilantrag gegen Corona-Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal ab. Die Verantwortung für die Schwachen dürfe die persönliche Freiheit einengen, heißt es im Beschluss. Eine endgültige Entscheidung steht allerdings noch aus.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Eilbeschlüsse aus Karlsruhe sind normalerweise nicht leicht zu lesen, weil das Bundesverfassungsgericht in dieser frühen Phase nicht schon das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Prüfung vorwegnehmen mag oder kann. Das Gericht nimmt also eine Was-wäre-wenn-Folgenabwägung vor, die alles offenlässt fürs Hauptsacheverfahren. Gemessen daran, ist die Eilentscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht deutlich ausgefallen. Die Pflicht kann kommen und wird kommen, vorläufig und ziemlich sicher auch endgültig.

Geklagt hatten überwiegend ungeimpfte Mitarbeiter aus medizinischen und pflegerischen Einrichtungen. Der Eilbeschluss schafft nun in juristischer Sicht eine gewisse Planungssicherheit, denn das Gericht hat sich einigermaßen klar positioniert. Die Pflicht für das Personal, Immunisierungsnachweise vorzulegen, begegne "als solche ... zum Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken". Damit ist die Richtung fürs Hauptsacheverfahren klar. Wer sich eine Kehrtwendung vorbehalten will, formuliert anders.

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Aber auch in der Folgenabwägung selbst liegen im Grunde bereits alle wichtigen Argumente auf dem Tisch. Auf der einen Seite sind dies die Grundrechte der Menschen, die in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen arbeiten. Eine Impfung löse körperliche Reaktionen aus, im Einzelfall auch schwerwiegende Nebenwirkungen, "die im extremen Ausnahmefall auch tödlich sein können", heißt es dort. Gravierende Folgen seien aber sehr selten, stellt das Gericht klar. Hinzu kommt: Wer sich partout nicht impfen lassen will, kann der Spritze ausweichen, wenn auch um den Preis beruflicher Nachteile - die wahrscheinlich vorübergehend sind, merkt das Gericht an, denn das Gesetz läuft zum Jahresende aus.

Auf der anderen Seite: alte und kranke Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Sie wären - setzte man die Impfpflicht vorläufig aus - "einer deutlich größeren Gefahr ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 zu infizieren und deshalb schwer oder gar tödlich zu erkranken", schreibt das Gericht. Denn nach Einschätzung der meisten Fachleute, die das Gericht um Stellungnahmen gebeten hatte, sei davon auszugehen, dass Impfungen "einen relevanten - wenngleich mit der Zeit deutlich nachlassenden - Schutz vor einer Infektion auch mit der Omikron-Variante des Virus bewirken".

Übersetzt heißt dies: Würde das Gericht die Impfpflicht vorläufig stoppen, dann würden deshalb Menschen sterben. Nichts anderes wäre freilich die Konsequenz, wenn das Gesetz im Hauptsacheverfahren gekippt würde; Menschen würden sterben, weil ungeimpftes Personal das Krankheitsrisiko für vulnerable Gruppen deutlich erhöhte. Womit kein Zweifel herrschen dürfte, dass es auch im Hauptsacheverfahren bei diesem Ergebnis bleibt.

Das gilt zumindest dann, wenn der Bundestag eine Karlsruher Warnung beachtet. Denn der hier einschlägige Paragraf 20a Infektionsschutzgesetz enthält, wie es aussieht, einen Fehler. Dort, wo es um die Ausgestaltung des Impf- oder Genesenennachweises geht, verweist er auf eine Verordnung, die ihrerseits die Sache aber nicht klärt, sondern auf die Internetseiten von Paul-Ehrlich-Institut und Robert-Koch-Institut verweist. Das ist verwirrend für den Leser, aber darin steckt auch ein demokratisches Problem: Wenn das RKI seine Vorgaben ändert, dann ändert es faktisch das Gesetz. Dem gewählten Gesetzgeber würde eine Regelung untergejubelt, über die er nicht abgestimmt hat - in einer wichtigen Frage wie der Impfpflicht. Deshalb muss schon im Gesetz Klarheit herrschen. Was aber leicht zu reparieren ist.

Bleibt die Frage, ob juristische Kaffeesatzleser aus den elf Seiten des Eilbeschlusses auch etwas zur allgemeinen Impfpflicht herauslesen können. Sicherlich bekräftigt der Beschluss die generelle Linie, dass Karlsruhe dem Gesetzgeber bei nahezu allen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung weitgehend freie Hand lässt. Aber mehr lässt sich aus dem Beschluss nicht gewinnen. Bei einer allgemeinen Impfpflicht müssen die ungleich komplexeren Probleme der Umsetzung bedacht werden oder die gesellschaftlichen Kollateralschäden. Vor allem aber ist es eine ganz besondere Konstellation, über die Karlsruhe zu entscheiden hat. In Kliniken und Heimen liegt es auf der Hand, dass die Verantwortung für die Schwachen und Kranken die persönliche Freiheit einengt.

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