Als Bundeskanzler Olaf Scholz vor einiger Zeit die weitreichenden Konsequenzen der Zeitenwende für die deutsche Wirtschaft bei der Beschaffung von Rohstoffen beschreiben wollte, bemühte er eine etwas aus der Mode gekommene Wendung. "Wir können es uns nicht leisten, etepetete zu sein", sagte Scholz.
Am Dienstag steht ein stämmiger Mann mit Schnauzer an seiner Seite, und der Kanzler hält sich an den Vorsatz. "Aserbaidschan ist für Deutschland und die Europäische Union ein Partner von wachsender Bedeutung", konstatiert Scholz freundlich. Das Land habe "das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der deutschen und europäischen Energieversorgung zu leisten, wenn es um Öl und Gas geht".
Miserable Noten für Menschenrechte, aber willkommener Ersatz für Russland
Der Mann mit dem Schnauzer hört es gern. Es ist Ilham Alijew, der Präsident Aserbaidschans. Das Amt hat Alijew vor 20 Jahren von seinem Vater geerbt. Im autoritären Regime des Landes sei die Macht "stark in den Händen von Alijew konzentriert", konstatiert die Menschenrechtsorganisation Freedom House, die Aserbaidschan als eindeutig nicht frei einstuft und dem Land in allen relevanten Kategorien miserable Noten erteilt.
Scholz kommt, so etepetete ist er dann doch, vorsichtig auf diesen Umstand zu sprechen. "Unsere Grundüberzeugung hier in Deutschland ist", sagt er, "zur Demokratie gehört eine lebendige Zivilgesellschaft. Von ihr kann nur profitiert werden". Alijew ignoriert das routiniert, er spricht lieber über das Geschäftliche. Und das entwickelt sich erfreulich, seit Russland als Öl-und Gaslieferant für Deutschland und die meisten anderen EU-Länder ausfällt. Allein die vergleichsweise bescheidenen Exporte nach Deutschland sind im vergangenen Jahr um 148,8 Prozent gestiegen.
"Aserbaidschan ist für Europa ein verlässlicher Partner. Wir steigern unseren Gasexport nach Europa", verspricht der Präsident im Kanzleramt. Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine sei das Interesse der Europäer an Gas aus Aserbaidschan sprunghaft gestiegen. Sein Land habe reagiert und die Lieferungen von acht Milliarden Kubikmetern im Jahr auf zwölf Milliarden Kubikmeter erhöht. 2027 wolle man - so wurde es mit der Europäischen Union im vergangenen Jahr vereinbart - 20 Milliarden Kubikmeter liefern.
"Die Würde auf dem Schlachtfeld" mit Armenien wieder hergestellt
Aserbaidschan verfüge aber auch über ein großes Potenzial bei den erneuerbaren Energien, etwa durch Windkraft vom Kaspischen Meer, hebt Alijew hervor. Scholz nennt das alles "sehr beeindruckend". Die Lieferungen aus Aserbaidschan stärkten die europäische Energiesicherheit. Das liege im gemeinsamen Interesse und zugleich finde, lobt der Kanzler, "ein Ausbau erneuerbarer Energien statt". Aserbaidschan gehört wirtschaftlich zu den Profiteuren des russischen Angriffskrieges, hält sich politisch aber eher bedeckt. Auch während der Pressekonferenz verliert Alijew über die russische Aggression kein böses Wort. Das übernimmt Scholz. "Putin muss sein aberwitziges Vorhaben abbrechen und russische Truppen aus der Ukraine zurückziehen", sagt er.
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Auch auf die angespannte Lage zwischen Aserbaidschan und Armenien kommt Scholz zu sprechen. Gerade jetzt, angesichts "geopolitischen Zeitenwende", müssten die Bemühungen intensiviert werden, den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan friedlich beizulegen, mahnt er. Zwischen den beiden Kaukasusländern kommt es seit einem Krieg 2020 um das von Armeniern bewohnte, aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Berg-Karabach immer wieder zu Gefechten und Feindseligkeiten. "Die Situation ist auf Dauer nicht tragbar und birgt die Gefahr weiterer Eskalation", warnt Scholz.
Alijew beeindruckt auch das nicht erkennbar. Stattdessen verweist er darauf, dass es seinem Land 2020 gelungen sei, nach 30 Jahren zu Aserbaidschan gehörendes Territorium zurück zu erobern. So habe Aserbeidschan seine "Würde und territoriale Integrität auf dem Schlachtfeld wieder hergestellt".