Kriegsverbrechen:Das zweischneidige Schwert der Ankläger

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Opfer des russischen Einmarschs in die georgische Grenzregion Südossetien im Sommer 2008. (Foto: Viktor Drachev/AFP)

Der Internationale Strafgerichtshof verfolgt Drahtzieher der russischen Invasion in Georgien - und will damit auch von Kriegsverbrechen in der Ukraine abschrecken. Kann das funktionieren?

Von Ronen Steinke, Berlin

Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof (ICC), der Brite Karim Khan, hat einen Sinn für Timing. Am Donnerstag hat er wegen der russischen Invasion in Georgien im Jahr 2008 drei Haftbefehle beantragt, also drei mutmaßliche Befehlshaber russischer Kriegsverbrechen beim Namen genannt. Viertens führte er als mutmaßlichen Drahtzieher einen damaligen Generalmajor der russischen Armee auf, der allerdings inzwischen verstorben ist.

Diese Ermittlungen waren schon seit Jahren in Arbeit. Nun aber, in der dritten Woche der russischen Invasion in der Ukraine, ist das abschreckende Signal in Richtung der heutigen russischen Verantwortlichen überdeutlich: Seht her, wir meinen es ernst mit unseren Untersuchungen. Und wir vergessen nicht.

Es geht um drei Männer, die zwischen Juli und Oktober 2008 an Russlands Machtübernahme in der georgischen Grenzregion Südossetien beteiligt waren. General Mikhail Mindzaev war Innenminister der russlandfreundlichen Separatisten, Gamlet Guchmazov war Chef ihrer Gefängnisse, David Sanakoev war ihr "Menschenrechtsbeauftragter" und später Außenminister. Der vierte, Generalmajor Wjatscheslaw Borisow, verstorben im vergangenen November, war Vizechef der russischen Luftwaffe. In seiner Presseerklärung listet der ICC-Chefankläger die Verbrechen der Männer auf, gefolgt von dem bemerkenswerten Satz: "Meine Behörde hat bei ihren Vorermittlungen zur Situation in der Ukraine ähnliche Verhaltensmuster feststellen können."

Viele Georgier flohen, als das russische Militär 2008 an der Seite von russischsprachigen Separatisten die Kontrolle über das Gebiet übernahm. Jene Georgier, die zurückblieben - vor allem ältere Menschen oder solche, die ihre Wohnungen nicht verlassen konnten oder wollten -, wurden vielfach gefangen genommen, führt Karim Khan in seiner Erklärung aus. "Beweismittel zeigen, dass viele dieser Menschen rechtswidrig in unhygienischen und unsicheren Umständen gefangen gehalten, beleidigt, geschlagen, gefoltert und erniedrigt wurden."

Strafandrohungen könnten Putins Verhandlungsbereitschaft mindern

Es gehört zu den erklärten Zielen der Ankläger am ICC, nicht nur das Unrecht der Vergangenheit aufzuklären, sondern besonders jene Ermittlungen voranzutreiben, die eine Wirkung in der Gegenwart versprechen. Zweifel, dass sich Kriegsherren davon beeindrucken lassen, weisen sie regelmäßig zurück. So verwies etwa die Vorgängerin von Chefankläger Khan, Fatou Bensouda aus Gambia, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung einmal auf das Beispiel Kenias. Dort hatte das Weltstrafgericht die Politiker angeklagt, die bei der Wahl 2008 wochenlange Ausschreitungen gegen Zivilisten anstifteten. Die nächste Wahl sei dann viel friedlicher verlaufen. "Ich sage nicht, dass es da eine klare Kausalität gibt, aber ich denke schon, dass der ICC bereits eine Rolle spielt."

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine gibt es aber auch Kritik an dieser Strafverfolgung - besonders nachdem einige westliche Staaten, darunter Deutschland, vor wenigen Tagen offiziell die Einleitung von Kriegsverbrechen-Ermittlungen beantragt haben. Nicht nur Wolfgang Ischinger, langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, gibt zu bedenken, dass Strafandrohungen Putins Verhandlungsbereitschaft eher mindern als steigern könnten. Ischinger erinnert an die 1990er-Jahre auf dem Balkan: Damals hätten die Anführer bosnischer Serben nicht an Friedensverhandlungen in den USA teilnehmen können, weil sie mit Haftbefehl gesucht wurden. Ein problematischer Effekt.

Kritik gab es auch im Fall des Bürgerkriegs in Libyen. Als der ICC dort 2011 einen Haftbefehl gegen den taumelnden Diktator Muammar al-Gaddafi bekannt gab, wandten manche Beobachter ein, damit verbaue man ihm endgültig den Ausweg ins Exil. Doch der ICC ließ sich nicht beirren. Gaddafi kämpfte seinen längst aussichtslos gewordenen Kampf bis zuletzt weiter.

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