Haushaltsdebatte:Steinmeier rechnet mit Kanzlerin Merkel ab

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Polemisch, anklagend, süffisant: SPD-Fraktionschef Steinmeier geht seine Ex-Chefin Merkel an. Seine Worte zeigen Wirkung.

Oliver Das Gupta

Der Oppositionsführer probt seinen Auftritt schon am frühen Morgen. Als Frank-Walter Steinmeier Stunden vor Beginn der Haushaltsdebatte im ARD-"Morgenmagazin" auftritt, zeigt er sich kampfeslustig. Die Bundesregierung? "Versagen auf der ganzen Linie", knurrt der einstige Kanzlerkandidat. Der SPD-Fraktionschef geißelt die schwarz-gelben Steuerpläne auf Pump, sie führten zu einer "haushaltspolitischen Katastrophe".

Angriffslustig: Frank-Walter Steinmeier während seiner Rede (Foto: Foto: Reuters)

Einen Rest Diplomatie zeigt Steinmeier denn doch: Der frühere Außenminister öffnet mit Blick auf die anstehende Haushaltsdebatte ein Hintertürchen: "Wir erhoffen uns von der Regierung heute Konkretes." Der Mann meint seine Ex-Chefin, Kanzlerin Angela Merkel.

Die Kanzlerin und das "neue Denken"

Doch konkret, so wie es ihr einstiger Partner aus dem roten Feldlager erwartet hat, wird die Kanzlerin in ihrer Rede nur ab und zu. Vieles bleibt im Ungefähren. Ein "neues Denken" fordert Merkel wolkig zur Überwindung der Wirtschaftskrise - es gehe darum, "klug aus der Talsohle herauszukommen".

Hinterher, wenn man aus der Talsohle kommt, ist man immer klüger. Zu den gegenwärtigen Finanzexzessen fällt der schwarz gewandeten Christdemokratin nur ein, es seien neue internationale Bestimmungen notwendig.

Außerdem kanzelt sie den hessischen Parteifreund Roland Koch ab, der eine strenge Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger angeregt hat. Und Merkel bekennt sich zu einem Betreuungsgeld für die Erziehung von Kleinkindern zu Hause von 2013 an.

Als Ziele ihrer Haushaltspolitik nennt Merkel: "Weiter auf Wachstum setzen und gleichzeitig auf Konsolidierung setzen." Und: "Deutschland muss an seine Stärken anknüpfen." Dazu gehöre, dass Deutschland eine starke Exportnation bleiben müsse.

Der Haushaltsentwurf, der Ende März verabschiedet werden soll, sieht für dieses Jahr eine Rekord-Neuverschuldung von fast 86 Milliarden Euro vor. Im Vergleich zu anderen Staaten, so Merkel, stehe Deutschland in Sachen Defizit gar nicht so übel da. Im Jahr 2012 soll die Wirtschaft wenigstens wieder das Niveau von vor der Krise erreicht haben.

Im Video: In der Haushaltsdebatte im Bundestag rechtfertigte Bundeskanzlerin Merkel die Rekordneuverschuldung mit dem Konjunktureinbruch. Weitere Videos finden Sie hier

Bei so viel Schönwetterbericht kochen die Emotionen hoch: Immer wieder rufen Abgeordnete der Opposition dazwischen. Irgendwann zeigt die Kanzlerin Nerven: "Heute rede ich hier", entfährt es ihr.

Bevor ihr einstiger Partner und jetziger Hauptrivale Steinmeier spricht, reden noch andere. Unionsfraktionschef Volker Kauder etwa, der in freier Rede und frei erregt die schwarz-gelbe Politik verteidigt.

Start der Generalabrechnung

Nach elf Uhr geht dann endlich SPD-Fraktionschef Steinmeier im dunklen Anzug und mit roter Krawatte ans Pult. Er beginnt seine Generalabrechnung mit der jungen Koalition - und seine persönliche mit Angela Merkel.

"Ihre Reden hören sich ein bisschen so an, wie eine Bitte um Vergebung", sagt der Sozialdemokrat süffisant und glaubt, "rote Ohren" auf den Sitzen von Union und FDP zu sehen.

Frank-Walter Steinmeier hat endgültig den Charme eines Aktenschranks abgelegt und wendet sich zur Regierungsbank, wo Merkel und der neue Vizekanzler Guido Westerwelle sitzen. Die Regierung täte so, als sei "alles ein Ausrutscher" und "Anfängerpech", schnurrt Steinmeier. Und schiebt dann im Herbert-Wehner-Sprech laut nach: "Niemand - wird - ihnen - das - glauben!"

Steinmeier klopft bei jedem Wort aufs Pult, es ist der Beginn einer Philippika.

Steuersenkungen auf Pump, Lobbyisten in Ministerien, Klientelpolitik, die Causa Steinbach, Zank zwischen den Koalitionären und die Millionenspende von August Baron von Finck: Steinmeier zählt nach und nach Themen auf, die den Koalitionären in ihren ersten hundert Regierungstagen Kritik und Verdruss einbrachten, den Afghanistan-Einsatz ausgenommen.

"Diese Regierung steht mit beiden Füßen in den Wolken" - Ex-Minister Frank-Walter Steinmeier, inzwischen Oppositionsführer, deutet auf seinen alten Sitzplatz während der Generaldebatte (Foto: Foto: ddp)

Die Finck-Spende sei wohl "Vorkasse" gewesen, höhnt Steinmeier: "Sind wir denn schon wieder in der Bimbes-Republik?" Wütende Zwischenrufe von Union und FDP, Gelächter aus den Reihen der Opposition. So gute Laune hatte die SPD-Fraktion schon lange nicht mehr.

"Wer gut regieren will, muss das ganze Volk im Blick haben, nicht einzelne Klientelgruppen", ruft Steinmeier aus: Die Koalition gebe "hier mal ein Bonbon für die Hotel-Besitzer, hier mal ein Zuckerstück für die Erben".

Auf der Regierungsbank zeigen die harten Worte Wirkung: Merkel blickt überall hin, nur nicht zum Rednerpult, wo ihr früherer Vize mit dem ausgestreckten Zeigefinger fuchtelt und die Fäuste ballt. Neben ihr schaut FDP-Chef Westerwelle grau drein, er nimmt seine Brille ab.

Steinmeier geißelt die "blödsinnige, falsche" Koalitionspolitik, spielt hämisch auf die Vorwürfe an, die Kanzlerin habe eine Führungsschwäche. Merkel schaue "dem Treiben von FDP und CSU" teilnahmslos zu und schlage "sich in die Büsche", ätzt Steinmeier. Merkel schüttelt kurz den Kopf, fährt mit ihrem Stuhl vor und zurück.

Nun pickt sich der frech gewordene Ex-Minister einzelne Personen heraus. Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht er von der Kanzlerin zugunsten der FDP düpiert; Umweltminister Norbert Röttgen und Gesundheitsminister Philipp Rösler hätten Lobbyisten mit Spitzenposten in ihren Ministerien ausstaffiert, klagt der Sozialdemokrat. Der smarte Junior-Minister Rösler guckt bedröppelt von der Regierungsbank herüber - so hat man ihn noch nicht gesehen.

Attacke gegen Seehofer

CSU-Chef Horst Seehofer sei nur "Abwickler der einst stolzen Staatspartei", so Steinmeier, auch hätte der FDP-Spender Finck der CSU Geld zukommen lassen.

Die wütenden Zwischenrufe mehren sich: "Wo arbeitet Herr Schröder jetzt?", tönt es aus dem Regierungslager. Steinmeiers pariert süffisant: "Der hat sich bei der CSU nie beworben." An anderer Stelle zeigt sich der entfesselte SPD-Fraktionschef begeistert von sich: Jawohl, er "trete hier selbstbewusst auf".

Steinmeier kommt immer wieder auf die Finanzlage zurück. Empört wirft er der Regierung vor, die öffentlichen Kassen zu plündern und mit schuldenfinanzierten Steuersenkungen die Lage zu verschlimmern. Die Regierung habe kein Konzept für eine Modernisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Arbeit. Die Rechnung werde der Bevölkerung erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai präsentiert.

"Diese Regierung steht mit beiden Füßen in den Wolken, das ist politisches Totalversagen." Vor einem Jahr hätten mit Peer Steinbrück und Olaf Scholz noch Sozialdemokraten solide Politik gemacht, nun fehlten politische "Leistungsträger".

Steinmeier spricht noch immer in zu langen Sätzen - aber anders als im Wahlkampf kommt an, was er sagt. Seine Fraktion applaudiert ihm lange. Auch Parteichef Sigmar Gabriel klatscht, er sieht einen Parteifreund und internen Rivalen, der wie befreit wirkt.

Am Ende seiner Rede macht Steinmeier mehr Pausen. Er sieht immer wieder zu Angela Merkel herüber. "Da sitzt sie, mit leeren Händen", sagt Steinmeier und klingt dabei, wie ein enttäuschter Ehemann.

Seine Prognose: "Sie werden scheitern."

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