Nach Anschlag auf Synagoge:"Der wahre Feind ist der Hass"

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Stille Fassungslosigkeit in Halle: die Synagoge an der Humboldstraße am Freitag, zwei Tage nach dem Terrorangriff. (Foto: Regina Schmeken)
  • Die Tage nach dem Anschlag in Halle sind Tage der Solidarität mit den Jüdischen Gemeinden in Deutschland.
  • Vielerorts versammeln sich zahlreiche Menschen zu Gebeten und Mahnwachen.
  • Auch die Rufe nach Konsequenzen werden lauter: besserer Schutz für Synagogen, härtere Strafen für Hassverbrechen.

Von Matthias Drobinski, München

Auf der Facebook-Seite der Gemeinde haben sie zwei Fotos gepostet: das Bild einer Frau mit kurzen, dunklen Haaren vor einem optimistischen Blümchenvorhang, das eines jungen Mannes mit Sonnenbrille und schwarzem Hoodie. Die gut 650 Mitglieder der jüdischen Gemeinde Halle trauern um Jana L. und Kevin S., die der Attentäter einfach so erschoss, nachdem er die Tür zur Synagoge weder hatte aufsprengen noch aufschießen können.

"Wir bedanken uns bei den zahlreichen uns bekannten und unbekannten Menschen, die ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben", heißt es in einer Erklärung. "Die Worte spielen für uns eine sehr große Rolle. Zeigen sie uns doch, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sein dürfen und dass der Mörder vom 9. Oktober mit seiner Hass-Ideologie und bestialischen Brutalität in absoluter Minderheit bleibt." Wenn man den Angehörigen der Toten und den Verletzten über das Gebet hinaus helfen könne, stehe man "aus tiefstem Herzen jederzeit zur Verfügung". Man ärgere sich aber über Versuche, den Anschlag "für die eigenen politischen Ziele zu missbrauchen": "Der wahre Feind ist der Hass," heißt es.

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Die Tage nach dem Anschlag sind Tage der Solidarität mit den Jüdischen Gemeinden in Deutschland. In München versammelten sich am Abend nach der Tat 400 Menschen zum Friedensgebet von Christen, Juden und Muslimen vor der Synagoge, in Düsseldorf kamen 300 zur Mahnwache und in Gelsenkirchen 200, in Berlin waren es schon am Abend zuvor mehrere Hundert samt Kanzlerin, auch in kleineren Städten und vor weniger bekannten Synagogen standen spontan Menschen und zeigten Anteilnahme.

Während der Sabbatfeier am Freitagabend stellten sich in Halle mehr als 1000 Menschen symbolisch schützend vor die Synagoge.

Gideon Joffe, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, rief zu einer Aktion "Deutschland trägt den Davidstern" auf. Viele Juden trauten sich aus Angst vor Angriffen nicht mehr, das Zeichen ihrer Religion offen zu tragen, da sei es ein "wunderbares Zeichen der Ermutigung für uns Juden und eine Entmutigung der Antisemiten", wenn sich möglichst viele Nicht-Juden auf diese Weise schützend vor die Minderheit stellten.

Am Tag zwei nach dem Anschlag ging aber auch die Debatte weiter, wie Synagogen und jüdische Einrichtungen besser geschützt werden können. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, hatte scharf kritisiert, dass trotz des Feiertags Jom Kippur die Polizei die Synagoge in Halle nicht gesichert hatte. Die jüdische Landesgemeinde in Thüringen forderte einen Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen, diese müssten nicht nur Synagogen, sondern alle Versammlungs- und Veranstaltungsorte der jüdischen Gemeinden schützen.

Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer plädierte im Tagesspiegel für einen flächendeckenden Schutz jüdischer Einrichtungen; das Grundproblem sei aber, dass in Deutschland Synagogen überhaupt bewacht werden müssten. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) verteidigte die Polizei. Die Beamten hätten "gute Arbeit" geleistet, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Eine "unregelmäßige Bestreifung" der Synagoge in Halle habe der Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes entsprochen.

Für Felix Klein, den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, genügt es nicht, mehr Kameras vor den Synagogen zu installieren und mehr Panzerglas zu verbauen - er forderte im ZDF-Morgenmagazin härtere Strafen für Hassverbrechen; Antisemitismus gehöre ausdrücklich als ein solches Verbrechen ins Gesetz aufgenommen. Vor allem aber müsse es "unangenehm werden für Menschen, wenn sie sich antisemitisch äußern - im Fußballstadion, am Arbeitsplatz, am Stammtisch". Der Linken-Chef Bernd Riexinger sagte, Polizei und Justiz müssten rechte Netzwerke stärker in den Fokus ihrer Arbeit rücken. Militante Vereinigungen gehörten konsequent verboten, Volksverhetzung strenger bestraft.

Der Konfliktforscher Andreas Zick erklärte der Neuen Osnabrücker Zeitung, der Anschlag komme für ihn nicht überraschend. Die rechte Szene habe sich in den vergangenen Jahren radikalisiert, da sei es zu erwarten gewesen, "dass der Antisemitismus als ein einigendes Element immer hasserfüllter und aktionsorientierter wird".

Auch deshalb stehen an diesem Wochenende die jüdischen Einrichtungen unter besonderer Beobachtung der Polizei und der gemeindeeigenen Sicherheitsdienste: Sukkot beginnt, das sieben Tage dauernde Laubhüttenfest in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten; wieder werden die Synagogen voller sein als gewöhnlich. In Halle aber wollen sie Optimisten bleiben, wie es in der Erklärung der Gemeinde heißt - "angesichts unserer Geschichte haben wir auch keine andere Wahl". Und man glaube, dass die von Gott geschaffene Menschheit "in absoluter Mehrheit nicht zum Bösen steht".

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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