Als sich am Donnerstagnachmittag etwa 30 Fans des Fußball-Drittligisten Hallescher FC vor dem "Kiez-Döner" in der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle versammeln, zieht der Himmel gerade zu. Es weht ein kalter Wind. Doch die, die hier stehen, würden sich wahrscheinlich auch von Eisregen nicht abhalten lassen. Denn sie trauern. Der junge Mann, der am Vortag brutal in dem Döner-Imbiss vom 27-Jährigen Stephan B. erschossen worden sein soll, war einer von ihnen, ein aktives Mitglied der HFC-Fanszene aus Merseburg.
Eine Frau erzählt, dass der 20-Jährige in der Nähe des Imbisses gearbeitet habe, eigentlich nur kurz zu Mittag essen wollte. Durch die Scheiben sieht man, dass auf der Theke des Lokals noch ein fertiger Kebab liegt, den niemand mehr essen wird. Daneben steht eine Flasche Coke. "Jetzt singen wir noch ein letztes Mal unser Lied für ihn", sagt ein Mann aus der Fangruppe. "Bitte holt alle eure Schals raus." Sie singen. Laut. Gefasst. Danach: Schweigen. Eine junge Frau bricht weinend zusammen. "Warum muss es solche Leute geben", schreit sie dem Baum entgegen, der vor dem Imbiss steht.
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Der Täter versucht in eine Synagoge zu gelangen, erschießt zwei Menschen und flieht dann vor der Polizei. Eine Rekonstruktion in Text und Grafik.
Noch lange stehen die Fans im Halbkreis, legen Blumen und Kerzen nieder. Dahinter ist ein in Plastikfolie eingeschweißtes Blatt Papier angepinnt, auf dem steht: "Ich lasse mir von keiner auf Hass beruhenden Ideologie die Vielfalt der Stadt zerstören, die wir alle lieben. Denken wir an die Opfer und ihre Liebsten, nicht aber an Angst und Täter." Die Plastikfolie braucht es auch. Denn kurze Zeit später regnet es.
Der "Kiez-Döner" ist an diesem Donnerstag geschlossen und weitläufig abgesperrt. Rot-weißes-Plastikband flattert zwischen Mülltonnen. Ein Fotograf aus Berlin fragt sich laut, ob diese Improvisation als Signal gemeint sein könnte. "Als handle es sich um ein Opfer dritter Klasse", sagt er. Der Imbiss befindet sich nur wenige hundert Meter entfernt von der Synagoge, vor deren Toren der Täter am Mittwoch eine Frau erschoss. Dann stieg er nach bisherigen Erkenntnissen wieder in seinen Wagen und fuhr über die Schillerstraße in die Ludwig-Wucherer-Straße. An der Straßenecke gegenüber des Imbisses stellte er sein Auto ab. Und erschoss im Lokal sein zweites Opfer.
Dieser Tatort ist nicht der Ort, an dem am Mittwochabend die erste Mahnwache stattfand, organisiert vom antifaschistischen Bündnis "Halle gegen rechts", auf dem Marktplatz im Herzen der Altstadt. Dennoch erinnern am Donnerstagvormittag vor dem Imbiss Kerzen und vereinzelte Blumen stumm an die Opfer. Im Laufe des Tages vermehren sich die Lichter, verwandeln sich die vereinzelten Schnittblumen in ein Blütenmeer. Immer wieder besuchen Bürger, Politiker, Journalisten, Trauernde den Ort. Eine Mahnwache, die sich am Vormittag spontan vor der Synagoge zusammengefunden hat, endet vor dem Döner-Imbiss. Etwa 150 vor allem junge Menschen stehen stumm vor dem Tatort, der Hallenser SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby legt Blumen nieder. "Es ist wichtig zu zeigen, dass wir keine Angst haben", sagt Tuan D., der in Halle Jura studiert und mit einer Freundin gekommen ist.
Auch Steinmeier und Seehofer besuchen den Tatort
Am Nachmittag steht hier auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in stummer Anteilnahme. Zwei Stunden später, als Innenminister Horst Seehofer einen großen Strauß orangefarbener Blumen ablegt, wird es laut. Ein junger Mann kommt näher, er schreit die Polizisten an, die Seehofer abschirmen: "Jeden Montag darf ein Faschist unter Polizeischutz spazieren gehen. Und am wichtigsten jüdischen Feiertag schafft ihr es nicht, die Synagoge zu schützen?" Ein Mann ruft: "Ja, endlich sagt es mal jemand!" Dann greift die Polizei ein, es wird kurz diskutiert, der wütende junge Mann geht weiter. Seehofer ignoriert den Vorfall so gut wie möglich, er dreht sich weg.
Am Donnerstagabend sind die Kamerateams weg, die Autos fahren wieder, die Tram auch. Doch die Menschen trauern weiter. Oft halten vorbeifahrende Radler an, kommen Menschengruppen mit Blumen in der Hand; junge Familien mit kleinen Kindern auf den Schultern; ein Vater mit jugendlichem Sohn, beide Kerzen in der Hand; studentisch aussehende Freundesgruppen; ein älterer Mann mit Bier in der Hand. Manche kämpfen mit den Tränen. Niemand unterhält sich laut. Um den Baumstamm haben die Fußballfans auch einige Fanschals gebunden. Darunter legen drei etwa 14-jährige Mädchen langstielige Rosen ab. Sie passen gut auf, dass ein Schild inmitten der Blumen nicht verdeckt wird. Darauf steht: "Wer schweigt, stimmt zu."