Attentat in Halle:Waffen aus dem 3-D-Drucker

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Eine Handfeuerwaffe mit dem Namen "Liberator", wie sie der Texaner Cody Wilson mit dem 3D-Drucker entworfen hat. (Foto: Robert Macpherson/AFP)

Als Stephan B. hat das Attentat in Halle verübte, hatte er selbstgebaute Waffen dabei - ein Novum in Deutschland. Die Behörden sind alarmiert, die Regierung sieht aber keinen Handlungsbedarf.

Von Florian Flade und Georg Mascolo, München

Er wolle beweisen, dass es möglich ist. So schrieb Stephan B. in seinem Manifest, das er im Internet hochgeladen hatte, bevor er seinen Anschlag auf die Synagoge von Halle verübte. Beweisen, dass er ganz alleine mit selbstgebauten Waffen eine solche Tat ausführen kann. Die Dokumente, die B. im Netz hinterließ, sind daher auch nicht nur ein antisemitisches, rassistisches Pamphlet, sondern vor allem eine Anleitung zum Waffenbau.

Das Blutbad, das Stephan B. am 9. Oktober 2019 verüben wollte, blieb glücklicherweise aus. Seine Waffen hatten immer wieder Ladehemmungen - und die schwere Holztür der Synagoge hielt stand. Zwei Menschen aber ermordete der Rechtsextremist, der sich inzwischen vor dem Oberlandesgericht Naumburg für seine Tat verantworten muss: eine Passantin, die zufällig vorbeikam, und einen jungen Mann in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss.

Seine Waffen hatte Stephan B. selbstgebaut. Mit Bauanleitungen aus dem Internet, aus Metallkomponenten, die er in Onlineshops und über Ebay erwarb - und aus Kunststoffteilen, die er mit einem 3-D-Drucker anfertigte. Den Drucker, Modell "Anet A8", stellten die Ermittler später in einem Wandschrank im Haus von B.s Vater als Beweismittel sicher.

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Es war das erste Mal, dass ein Terrorist in Deutschland für einen Anschlag Schusswaffen angefertigt hat, die aus einem 3-D-Drucker stammen. Ein Weckruf, auch für die Sicherheitsbehörden.

"Die ausgereiftere und kostengünstiger werdende 3-D-Druck-Technologie erleichtert die illegale Herstellung und Beschaffung von Waffen für eine immer größere Personenzahl. Hiervon kann ein erhebliches Risiko ausgehen", warnt Michael Mertens, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Doch die Regierung plant derzeit nicht, irgendetwas gegen Waffenherstellung aus dem 3-D-Drucker zu unternehmen.

Als Erfinder der Waffen aus dem heimischen 3-D-Drucker gilt der US-Amerikaner Cody Wilson. Der selbsternannte "Krypto-Anarchist" stellte 2013 eine simple, einschüssige Handfeuerwaffe vor. Sie bestand aus 16 Komponenten, nur ein Teil, der Schlagbolzen, war aus Metall. Alle anderen Teile hatte Wilson mit einem 3-D-Drucker aus Kunststoff gefertigt.

Wilson ist Mitbegründer der Bewegung "Defense Distributed" und propagiert das Recht auf Waffenherstellung und Besitz für jedermann. Die Bauanleitung stellte er frei im Internet zur Verfügung. Inzwischen kursieren dort zahllose solcher Druckvorlagen, mit denen sogar Sturmgewehre produziert werden können.

Die selbstgebauten Waffen des Halle-Attentäters haben interessanterweise in den USA eine größere Diskussion ausgelöst, als in Deutschland. Während Sicherheitsbehörden hierzulande oft darauf verweisen, dass diese kaum funktioniert hätten, betont der US-Terrorismusforscher Bruce Hoffman: Stephan B. habe einen sogenannten proof of concept erbracht, den Nachweis, dass es gelingen könne. Zu genau diesem Zweck habe er auch eine detaillierte Bauanweisung im Internet hinterlassen. Dass eine neue Methode beim ersten Mal nicht problemlos funktioniere, dürfe man nicht als beruhigend deuten, argumentiert Hoffman. So wie erste selbstgebaute Bomben von islamistischen Terroristen einmal nicht zündeten, sei die Lernkurve von Attentätern steil. Auf eine Phase des Scheiterns folge oft eine Phase des erfolgreichen Lernens.

Die Bundesregierung sieht jedoch keinen weiteren Handlungsbedarf in der Sache. Waffen, die mithilfe eines 3-D-Druckers hergestellt werden, seien Gegenstände im Sinne des Waffengesetzes, teile eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit. Für deren Herstellung, Umgang und Besitz bedürfe es einer Erlaubnis - anderenfalls mache man sich strafbar. "Aus waffenrechtlicher Sicht bestehen damit ausreichende rechtliche Regelungen", so die Sprecherin. Weitere Gesetzesverschärfungen seien daher nicht geplant.

Polizeigewerkschaftler Michael Mertens sieht allerdings durchaus Handlungsoptionen. Er schlägt ein Verbot der Verbreitung von Waffenselbstbauanleitungen oder entsprechender 3-D-Drucker-Software vor. Zusätzlich könnte geprüft werden, "inwiefern es rechtlich und tatsächlich möglich ist, Hersteller von Hard- und Software für 3-D-Druck dazu zu verpflichten, dass mithilfe ihrer Produkte keine Waffen gedruckt werden können, die in falsche Hände geraten könnten", so Mertens. Denkbar wären Drucksperren, sodass die Software der 3-D-Drucker die Vorlagen für Waffenteile erkennt und deren Druck verweigert.

Ähnlich funktioniert es bereits bei Farbdruckern und Kopierern, mit denen die Vervielfältigung von Geldscheinen erschwert werden soll. Ebenso wäre es wohl möglich, die Kunststoffteile mit einer Markierung zu versehen, sodass zumindest nachvollziehbar wird, aus welchem Drucker die Waffenkomponenten stammen.

Den Kontakt zu den Druckerherstellern hat das Bundesinnenministerium bislang allerdings nicht gesucht. "Es haben seitens des Ministeriums keine Gespräche mit Herstellern von 3-D-Druck-Systemen stattgefunden. Es sind auch keine derartigen Gespräche aus den nachgeordneten Behörden bekannt", teilte eine Sprecherin mit.

Die Opposition fordert nun weitere Maßnahmen. "Die Bundesregierung muss wissenschaftlich begutachten lassen, was alles möglich ist, um dann zu entscheiden, wie man den Gefahren durch eine missbräuchliche Nutzung der Technik effektiv begegnet", sagt der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, es sei das erste Mal gewesen, dass ein Terrorist in Deutschland mit Schusswaffen aus dem 3-D-Drucker gemordet habe. Das ist nicht korrekt und wurde korrigiert, auch die Überschrift wurde inzwischen angepasst.

© SZ vom 05.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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