Haiti:Ein Mord, der in einen bitteren Machtkampf mündet

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Haitianer fordern vor der US-Botschaft Asyl in den Vereinigten Staaten. Sie halten nach dem Präsidentenmord die Lage in dem Karibikstaat für so gefährlich, dass sie um ihr Leben fürchten. (Foto: Valerie Baeriswyl/AFP)

Die Aufklärung des Attentats auf Präsident Jovenel Moïse kommt nur schleppend voran. Und das Gerangel um seine Nachfolge hat längst begonnen.

In Haiti ist nach dem Mord an Präsident Jovenel Moïse ein politischer Machtkampf im Gang, der die schon zuvor instabile politische Lage verschärft. Die Regierung des Karibikstaats bat am Wochenende die frühere Besatzungsmacht USA, Soldaten zu entsenden, die helfen sollten, die Infrastruktur wichtiger Orte zu sichern, wie Haitis Wahlminister Mathias Pierre internationalen Medien sagte. Dies lehnte Washington ab. Die USA schicken aber ein FBI-Team. Es werde die Lage einschätzen und sehen, inwieweit es helfen könne, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki.

Hintergrund und Auftraggeber des Mordes an dem umstrittenen Präsidenten sind weiter unbekannt. Moïse war in der Nacht zum Mittwoch in seiner Residenz außerhalb von Port-au-Prince von Bewaffneten überfallen und mit einem Dutzend Schüssen getötet worden. Seine dabei verletzte Frau Martine Moïse twitterte am Samstag, ihr Mann sei aus politischen Gründen ermordet worden, er habe ein Verfassungsreferendum geplant mit dem Ziel, dem Präsidenten mehr Macht zu geben.

Laut haitianischer Polizei waren insgesamt 28 ausländische Söldner beteiligt. Mindestens 17 Verdächtige wurden festgenommen, drei in der Nacht des Anschlags erschossen. Die Festgenommenen seien 15 kolumbianische Ex-Soldaten, zwei US-Bürger haitianischer Herkunft. Die Polizei präsentierte in Port-au-Prince kolumbianische Pässe und Einbruchswerkzeug, Kolumbiens Regierung identifizierte 13 Ex-Soldaten des Landes als mutmaßlich Beteiligte.

Kanadische und US-amerikanische Medien berichteten, einer der Festgenommenen mit US-Pass sei früher als Bewacher bei Kanadas Botschaft in Haiti beschäftigt gewesen. Der 35-Jährige habe angegeben, Moïse hätte entführt, nicht ermordet werden sollen, sagte ein Ermittlungsrichter haitianischen Medien. Der Mann gebe an, er sei als Übersetzer für die mutmaßlichen Söldner engagiert worden, er habe den Job per Internet gefunden. Zu den offenen Fragen zählt auch, wieso bei dem Anschlag keine der Wachen verletzt wurde.

Drei Politiker beanspruchen das Sagen

Unterdessen beanspruchen mehrere Politiker die Führung des bettelarmen Landes. Zum einen der noch von Moïse als Ministerpräsident bestimmte, aber nicht vereidigte Ariel Henry, zum anderen Interimsministerpräsident Claude Joseph. Henry sagte der Agentur Reuters: "Nach der Ermordung des Präsidenten bin ich zur höchsten, legalen und regulären Autorität geworden, weil ich per Dekret nominiert wurde."

Der Neurochirurg war zwei Tage vor dem Attentat zum Regierungschef ernannt worden. Nach dem Mord übernahm aber Claude Joseph die Macht. Er ist seit April Interimsministerpräsident und hat den Rückhalt des Wahlministers Mathias Pierre. Joseph hielt nun Ansprachen an die Nation, unterzeichnete Erlasse und führte Gespräche mit Vertretern ausländischer Regierungen. Joseph werde bis zur geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 26. September amtieren, sagte Pierre. Josephs Rivale Henry wiederum erklärte, er werde eine Regierung bilden, die ein Komitee zur Bestimmung eines Wahltermins einsetzen solle. "Wir müssen die Wahlen aber so bald wie möglich abhalten", sagte Henry.

Die haitianische Zeitung Le Nouvelliste berichtete online, dass zudem der Senat am Samstag einen Interimspräsidenten bestellt habe, seinen Vorsitzenden Joseph Lambert. Er wolle den Weg zu einem demokratischen Machtwechsel ebnen, twitterte Lambert. Der Senat hat derzeit jedoch nur zehn statt 30 Mitglieder und ist seit Januar 2020 nicht beschlussfähig. Weil die für Oktober 2019 vorgesehene Wahl ausfiel, nicht zuletzt wegen gewalttätiger Proteste gegen Moïse, ist das Mandat der meisten Senatoren abgelaufen. Haitis Verfassung bestimmt, dass der Vorsitzende des Obersten Gerichts Übergangspräsident werden müsste. Der starb aber im Juni nach einer Corona-Infektion.

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