Karibik:Deutscher Botschafter verlässt Haiti wegen Bandengewalt

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Port-au-Prince: Die Polizei sichert eine Straßensperre, die von Demonstranten während einer Demonstration errichtet wurde (Archiv) (Foto: Odelyn Joseph/dpa)

Die gewalttätigen Gruppen wollen die Interimsregierung stürzen. Die Ausschreitungen hindern den Interims-Regierungschef Henry an der Rückkehr von einer Auslandsreise. Die Lage wird offenbar zu gefährlich für deutsches Botschaftspersonal.

Wegen der eskalierten Gewalt krimineller Banden in Haiti haben Deutschlands Botschafter Peter Sauer und der Ständige Vertreter den Karibikstaat verlassen. Sie seien am Sonntag "aufgrund der sehr angespannten Sicherheitslage in Haiti gemeinsam mit Entsandten der EU-Delegation" in das Nachbarland Dominikanische Republik ausgereist, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. "Sie arbeiten bis auf Weiteres von dort aus."

Zuvor war bekannt geworden, dass das US-Militär am Wochenende einen Teil des Personals der US-Botschaft in Haiti in Sicherheit gebracht und die Sicherheitsvorkehrungen dort verstärkt hatte. Wie das Regionalkommando Southcom mitteilte, wurden nicht essenzielle Mitarbeiter auf Bitten des US-Außenministeriums hin ausgeflogen.

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Der Anführer einer Bande droht mit einem Bürgerkrieg, sollte der Interimspremierminister nicht zurücktreten. Nun fordern auch die USA, den Prozess hin zu freien Wahlen zu beschleunigen.

Ende Februar war in Haiti, wo Banden laut UN bereits etwa 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollierten, die Gewalt eskaliert. Die zwei mächtigsten Banden hatten sich gegen die Regierung zusammengeschlossen. Ihr Anführer, der Ex-Polizist Jimmy Chérizier alias "Barbecue", drohte mit einem Bürgerkrieg, wenn Interimspremierminister Ariel Henry nicht zurücktrete. Henry war auf einer Auslandsreise und kehrte bisher offenbar wegen der Sicherheitslage nicht zurück.

Die Banden griffen unter anderem Polizeistationen, staatliche Einrichtungen und Flughäfen an - alle Flüge von und nach Haiti fielen seit Tagen aus. Aus zwei Gefängnissen befreiten die Banden zudem mehr als 4500 Häftlinge. Die Gewalt legte große Teile des armen Karibikstaates lahm und verschärfte die bereits prekäre humanitäre Lage.

Gefahr auch für Dominikanische Republik

Am Freitagabend wurde rund um den Präsidentenpalast heftige Schießereien gemeldet. Der Präsident der Dominikanischen Republik, Luis Abinader, hatte Henry am Samstag zur unerwünschten Person erklärt. Aus Sicherheitsgründen sei dieser nicht willkommen.

Die Krise in Haiti stelle auch eine direkte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit der Dominikanischen Republik dar. Das bei Urlaubern beliebte Land teilt sich die Karibikinsel Hispaniola mit Haiti, dem ärmsten Land des amerikanischen Kontinents.

Wie viele Menschen der Gewalt zum Opfer fielen, ist bislang unklar. Die Washington Post berichtete von Leichen auf offener Straße, die wegen der Sicherheitslage nicht bestattet werden konnten und stattdessen verbrannt wurden. Fast die Hälfte der rund elf Millionen Einwohner Haitis leidet laut UN unter akutem Hunger. Das Gesundheitssystem steht nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk, am Rande des Zusammenbruchs.

Henry, ein 74-jähriger Neurochirurg, hatte die Regierungsgeschäfte übernommen, nachdem Präsident Jovenel Moïse am 7. Juli 2021 in seiner Residenz ermordet worden war. Seitdem wurden keine Wahlen abgehalten, Haiti hat derzeit weder einen Präsidenten noch ein Parlament. Die frühere Besatzungsmacht USA - der viele Haitianer und Beobachter nachsagen, den unbeliebten Henry bislang an der Macht gehalten zu haben - forderte ihn in den vergangenen Tagen auf, den politischen Übergang zu beschleunigen. UN-Generalsekretär António Guterres rief dazu auf, die multinationale Sicherheitsmission zu finanzieren. Laut UN sind mehr als 300 000 Menschen innerhalb Haitis wegen der Bandengewalt der letzten Jahre vertrieben worden.

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