Grünen-Parteitag:Stimmungstest für die mögliche Kanzlerkandidatur

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Strategisches Kalkül? Robert Habeck huldigt in seiner Rede mehreren Frauen. (Foto: dpa)

Am Samstag stimmen die Grünen über ihre Vorsitzenden ab. Spannend wird, wer das bessere Ergebnis holt: Baerbock oder Habeck. Dessen Auftaktrede kann man als Bewerbung für Höheres verstehen.

Von Constanze von Bullion, Bielefeld

Es will gar kein Ende mehr nehmen, das Lob der Frauen. Petra Kelly, Greta Thunberg, Angela Merkel - lauter Ikonen weiblicher Anführerschaft werden aufgerufen in dieser Rede, als Beispiele für Mut und Gestaltungskraft. "Wo ist dieser Geist geblieben?", ruft Robert Habeck irgendwann in den Saal. Ganz so, als sei er der größte Feminist aller Zeiten. Und so, als stünde keine Frau in seinem Weg.

Bundesparteitag der Grünen in Bielefeld, 800 Delegierte sitzen in einer Halle, die an das Innere eines Planwagens erinnert. Unter dem Motto "Mehr wagen, um nicht alles zu riskieren" wollen die Grünen drei Tage lang über klimaneutrales Wirtschaften und gerechtere Wohnungspolitik beraten, über die Lockerung der Schuldenbremse, Mobilität in abgelegenen Regionen oder die Chancen einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.

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Doch bevor es losgeht, ist schon klar: Die Personalien werden mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als manchen lieb ist. Am Samstag wollen die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sich zur Wiederwahl stellen. Und die Frage, wer von beiden dabei besser abschneidet, gilt als Stimmungstest, wo die Reise bei einer etwaigen grünen Kanzlerkandidatur hingehen könnte. Auch wenn das offiziell gar kein Thema sein soll.

Am Freitagabend und zum Auftakt des Parteitags hat zunächst Habeck das Wort, turnusgemäß. Der Parteivorsitzende, der so laut spricht, als gelte es, Ozeane zu überwinden, sieht eine "tektonische Verschiebung" auf die Welt zukommen. Klimakrise, Verunsicherung, schwindendes Vertrauen in die Demokratie - die Grünen dürften sich da nicht wegducken. "Wir wollen die Weichen mitstellen", ruft Habeck. "Wir wollen Pläne, die den Horizont wieder aufmachen."

Dann kommt, was als tiefe Verbeugung vor dem weiblichen Geschlecht zu verstehen ist, jedenfalls zunächst. So erinnert Habeck an Petra Kelly, die bei ihrer ersten Bundestagsrede Vergewaltigung in der Ehe angeprangert habe und ausgelacht worden sei. Er äußert Hochachtung für Greta Thunberg, die sich mit einem Pappschild vors Parlament gesetzt habe und nun eine Weltbewegung anführe. Und er zitiert den "großen Satz" von Angela Merkel, die ein Deutschland ohne Humanität "nicht mein Land" nannte. Mutig die Dinge voranzutreiben, das ist in Habecks Rede: Frauensache. Fast könnte man vor lauter Frauenverehrung vergessen, dass die erste Frau der Grünen Annalena Baerbock heißt - und Habeck ihr mal eben das Feld des Feminismus streitig macht.

Doch, ja, man kann diese Rede als eine erste Bewerbung für höhere Aufgaben verstehen. Und es fehlt darin auch an Bekenntnissen zur Verantwortung nicht. "Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, die das Waffenrecht verschärft", sagt Habeck. "Wir leben in der besten und freiesten Republik, die es in Deutschland je gegeben hat. Verteidigen wir diese Republik." Deutschland stehe vor "einem Zeitalter der Digitalisierung", vor Umwälzungen der Arbeitswelt, auch vor einer möglichen Wirtschaftskrise. "Wir brauchen ein großes Investitionsprogramm. Und wir brauchen eine Neujustierung der Marktwirtschaft." Ein Green New Deal müsse her, ein neues Ordnungsrecht, das umweltfreundliches Handeln fördere, vor allem aber mehr Optimismus.

Als es vorbei ist, stehen die Delegierten auf. Sie klatschen, sie johlen, aber nicht übertrieben lange. Der Wettbewerb hat ja gerade erst begonnen.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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