Im neuen Kabinett von Rishi Sunak gibt es eine Ministerin ohne Portfolio, sie heißt Esther McVey, kommt aus Liverpool und ist zuständig für die Abteilung Kulturkampf. Die 56-Jährige soll die rechtskonservative Wählerschaft ansprechen, mit Attacken gegen die BBC und all jene, die angeblich nur darauf hinarbeiten, dass es in London zu einem Regierungswechsel kommt. Dass Sunaks Wahl ausgerechnet auf McVey fiel, dürfte vor allem an ihrer "Anti-Woke-Agenda" liegen. Offenbar braucht er eine wie sie, um den rechten Parteiflügel der Tories bei Laune zu halten. Unter den right wingers ist die Unruhe besonders groß, nachdem Sunak einen erklärten Brexit-Gegner zum Außenminister berufen hat: David Cameron.
Mit Lord Cameron, wie er jetzt heißt, und dem Finanzminister Jeremy Hunt besetzen nun zwei Remainer Schlüsselpositionen in der Regierung. Hinzu kommt James Cleverly als Innenminister, der zwar wie Sunak ein Brexiteer ist, aber im Vergleich zu seiner ultrarechten Vorgängerin Suella Braverman als regelrecht besonnen gilt. Der Premier hat also drei Mitte-rechts-Pragmatiker um sich geschart, kein Wunder, dass die Hardcore-Brexiteers nervös werden. Eine von ihnen, Andrea Jenkyns, hat Sunak bereits das Misstrauen ausgesprochen und einen Brief an Graham Brady, den Vorsitzenden des 1922-Komitees der Tory-Hinterbänkler, geschickt. Das Schreiben beginnt mit den Worten "Genug ist genug". Ob Brady noch mehrere Briefe dieser Art erhalten hat, ist nicht bekannt, nur so viel: Am Mittwochabend will sich das Komitee treffen, um die Lage zu besprechen.
In den Umfragen liegen die Konservativen 20 Prozentpunkte hinter Labour
Die Lage, sie sieht in diesen Herbsttagen nicht allzu gut aus für die Tories. In den Umfragen liegen die Konservativen seit Sunaks Amtsantritt vor gut einem Jahr ziemlich konstant 20 Prozentpunkte hinter Labour. Mit Cameron versucht der Premier nun, die Aufholjagd zu starten. Gewählt wird spätestens im Januar 2025, vermutlich früher. Wann genau, entscheidet der Premier.
Wie der neue Außenminister in der Bevölkerung ankommt, wird sich zeigen, klar ist jedenfalls, dass Sunak mit Camerons Berufung ein Überraschungscoup gelungen ist. Wie der Daily Telegraph berichtet, sollen sich die beiden am vergangenen Donnerstag zu einem Gespräch in der Dienstwohnung des Premiers getroffen haben. Als Vermittler soll William Hague fungiert haben, er war einst Außenminister im Kabinett von Cameron. Hague sagte am Dienstag zwar, dass die Lord-Cameron-Idee nicht von ihm stamme, aber in einem Gastbeitrag für die Times machte er deutlich, warum es aus seiner Sicht dazu gekommen ist: Camerons Ernennung zeige, dass Sunak einen Bruch mit den peinlichen Johnson-Jahren demonstrieren wolle, schrieb Hague, in denen die Regierung "in einer abscheulichen, angespannten Atmosphäre geführt wurde, dominiert von unflätigen, inkompetenten Beratern".
Sunak versucht offenbar, sich von seinem Vorvorgänger Johnson abzusetzen
Nun, Sunak gehörte als Finanzminister einst selbst zu Johnsons Kabinett. Jetzt versucht er offenbar, sich von seinem Vorvorgänger abzusetzen, indem er mit Cameron einen politischen Gegner Johnsons zum Außenminister macht. Für David Frost, Johnsons früheren Brexit-Minister, ist das nichts anderes als ein "Rückfall in die Vor-Brexit-Zeit". Auch Jacob Rees-Mogg, ebenfalls ein Vertrauter Johnsons, kritisierte den Premier für seine Personalentscheidung. Die Berufung Camerons und der Rauswurf Bravermans könne dazu führen, dass viele Tories-Wähler ihre Stimme künftig der Reform Party geben könnten, der Nachfolgepartei der Brexit Party. Außerdem müsse Sunak aufpassen, dass Cameron ihn nicht in den Schatten stelle, sagte Rees-Mogg.
Am Dienstag saß Lord Cameron jedenfalls zum ersten Mal als Außenminister am grünen Kabinettstisch in Downing Street. Ihm gegenüber nahm Sunak Platz. Der Premier versuchte, sein neues Team wie ein Motivationstrainer anzutreiben, er sprach von "großen, mutigen Entscheidungen, die den Wandel vorantreiben werden". Wenn er sich so am Tisch umsehe, wisse er, dass er ein Team voller Energie und Enthusiasmus habe, sagte Sunak.
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Bereits an diesem Mittwoch steht in London eine bedeutende Entscheidung für den Premier an. Das oberste britische Gericht wird ein Urteil darüber fällen, ob die Regierung Asylbewerber nach Ruanda ausweisen darf. Der Migrationspakt mit Kigali gilt als "flagship policy" des Premiers, also eine Art Vorzeigeprojekt. Sollte der Supreme Court nicht im Sinne Sunaks urteilen, wird das für den Premier wohl zum Problem: Der rechte Flügel seiner Partei dürfte dann den Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (ECHR) fordern. Damit steht der nächste interne Streit bei den Tories bevor, denn der neue Innenminister Cleverly lehnte einen solchen Schritt bislang ab.
Am Dienstag meldete sich dann noch seine Vorgängerin Braverman zu Wort. In ihrem Rücktrittsschreiben an den Premier warf sie Sunak vor, dass er nie die Absicht gehabt habe, seine Versprechen in Sachen Migration einzulösen. "Jemand muss ehrlich sein: Ihr Plan funktioniert nicht, wir haben Rekord-Wahlniederlagen erlitten, Ihre Neustarts sind gescheitert und uns läuft die Zeit davon", schrieb Braverman. Ihre Warnung: "Sie müssen dringend den Kurs ändern."