Ritterschlag:Mehr als eine Million Briten gegen Tony Blair

Lesezeit: 3 min

Einst Darling der Nation, jetzt mit zwiespältigem Ruf: Der frühere Premierminister Tony Blair war zehn Jahre im Amt. (Foto: TOLGA AKMEN/AFP)

Der frühere britische Premierminister Tony Blair erhält von der Queen die höchste Auszeichnung, die die Monarchin vergeben kann. Aber in einer Petition sprechen sich viele Bürger dagegen aus - Tendenz steigend.

Von Michael Neudecker, London

Die Frage, was bleibt, ist immer sehr präsent, wenn jemand geht, aber oft gibt es keine gute Antwort. Tony Blair war zehn Jahre britischer Premierminister, er hat als Labour-Politiker drei Wahlen gewonnen, zwei davon mit Mehrheiten, wie es sie seit Winston Churchill nicht mehr gegeben hatte: 179 Sitze waren es 1997, 167 vier Jahre später; selbst Populisten wie Boris Johnson können von solchen Zahlen nur träumen. Blair war jahrelang der Darling vieler Briten, aber der Weg vom Darling zum Deppen der Nation kann kurz sein. Was also bleibt von Blairs Zeit als Premierminister, das ist jetzt wieder die Frage: smarter Lenker oder skrupelloser Blender, Modernisierer oder Kriegsminister? Sehr viele Briten haben ihre Antwort sogar in Form einer digitalen Unterschrift gegeben.

Der Buckingham Palast veröffentlichte an Neujahr seine übliche Liste an Ehrungen, die einigen britischen Bürgern zuteil werden sollen. Emma Raducanu, die Tennisspielerin, bekommt einen Orden, auch andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stehen auf der Liste. Hervor sticht Blair: Er werde, teilte der Palast mit, zum Ritter und Mitglied des "Order of the Garter" ernannt. Das ist die höchste Ehrung, die die britische Monarchie aussprechen kann, die Mitgliederzahl des Ordens ist auf 24 begrenzt. Jeder Premierminister erhält üblicherweise diesen besonderen Ritterschlag, nur wenige allerdings mussten so lange warten wie Blair - er ist bereits vor 14 Jahren zurückgetreten. Nur der unpopuläre Edward Heath musste noch länger warten; bei Blairs Vorgänger John Major dauerte es halb so lange wie nun bei Blair.

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Manche Medien spekulieren, Prinz Philip habe die Ernennung Blairs lange blockiert, Philip galt nicht gerade als Freund des Ex-Premiers. Andere werten das lange Zögern als Zeichen, dass die Queen und ihre Berater registriert haben, wie gespalten das Volk zu seinem früheren Regierungschef steht.

Tony Blair hat viele Briten mit seiner "New Labour"-Begeisterung mitgerissen, er war eine Schlüsselfigur im Friedensprozess in Nordirland, das ist die einhellige Meinung in Großbritannien. Nur, solche Erfolge werden relativ, wenn ein Premierminister sein Land in einen zweifelhaften Krieg im Irak führt. Und die Rechtfertigung dafür - angebliche Massenvernichtungswaffen, deren Nicht-Existenz hinreichend dokumentiert ist - mindestens zurechtgebogen hat.

"Premierminister werden nicht gewählt, um in den Krieg zu ziehen."

Kurz nach Bekanntwerden der Ehrung wurde auf der Plattform change.org eine Petition gestartet, die fordert, Blair möge den Titel an die Queen zurückgeben. Blair habe der britischen Verfassung und dem Gefüge der britischen Gesellschaft "irreparablen Schaden" zugefügt, heißt es in der Petition. Er sei "persönlich verantwortlich, den Tod unzähliger unschuldiger Leben in verschiedenen Konflikten verursacht zu haben". Allein dafür solle er "wegen Kriegsverbrechen" zur Rechenschaft gezogen werden. Am Allerwenigsten aber verdiene er "irgendeine öffentliche Ehrung, insbesondere eine Ehrung durch Ihre Majestät die Königin". Am Montagnachmittag hatten knapp 1,1 Millionen Menschen unterzeichnet.

Keir Starmer, der als Labour-Chef wie einst Blair mit einer wirtschaftsfreundlichen Politik für die Mitte der Gesellschaft versucht, Wähler zu überzeugen, hat Blair verteidigt. Er habe wie alle Premierminister die Ehrung verdient. Selbst vom politischen Gegner gab es Unterstützung: Michael Gove, einflussreicher Minister in der Johnson-Regierung, sprach sich für Blair aus. Er sei ein "herausragender Staatsmann" und solle die Ehrung erhalten.

In einer BBC-Dokumentation über das Verhältnis der Premierminister Blair und Gordon Brown gibt es einen Moment, in dem Blairs früherer Stabschef Jonathan Powell mit einem einzigen Satz das Dilemma Blairs darlegt. Powell versuchte damals einerseits seinen Chef zu unterstützen, andererseits nahmen seine Frau und seine Tochter an den Demonstrationen gegen Blair und den Krieg teil. Nun sagt Powell: "Premierminister werden nicht gewählt, um in den Krieg zu ziehen."

Blair und Bush haben die Bedrohung durch Saddam Hussein übertrieben dargestellt

Blair wollte, dass die Menschen ihm zumindest zuhören, wenn er seine Entscheidung für den Irak-Krieg erklärt, die er als "die härteste, folgenschwerste und schmerzlichste Entscheidung meiner zehn Jahre als Premierminister" betrachtet. Es sei ihm bewusst gewesen, dass ihn das Zuneigung kosten werde, aber er habe es als seine Verpflichtung gesehen, zu handeln, ohne auf die nächsten Wahlen zu blicken, das sagt Blair selber in der Dokumentation: "Der einzige Leitfaden, dem man in solchen Entscheidungsfragen folgen kann, ist: Tue, was du für richtig hältst. Nichts zu tun, hat seine eigenen Konsequenzen."

Für Blair war es wichtig, den USA ein starker und verlässlicher Partner zu sein, und Präsident George Bush wollte diesen Krieg unbedingt, ob nun mit Massenvernichtungswaffen als Ausrede oder ohne. Blair, der Politiker der linksgerichteten Labour-Partei, folgte dem konservativ-rechten Republikaner Bush. Später legten Untersuchungsberichte nahe, dass beide schon vorher wussten, dass Saddam Husseins Regime eine weitaus geringere Bedrohung war als dargestellt.

In der BBC-Dokumentation wird Blair gefragt, wie er sein Vermächtnis sieht. Blair zögert einen kurzen Moment, dann sagt er: "Die Frage nach dem Vermächtnis wird nicht von mir beantwortet. Sondern von der Geschichte."

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